Notfallseelsorge

"Hoffnung weitet den Horizont" – Notfallseelsorge in Zeiten einer Pandemie

Ein Jahr Hamburger Notfallseelsorge unter Corona-Bedingungen: Leiterin Pastorin Erneli Martens sagt, was das bedeutet – und wie wichtig es ist, die Hoffnung nicht zu verlieren.
Ein Jahr Hamburger Notfallseelsorge unter Corona-Bedingungen: Leiterin Pastorin Erneli Martens sagt, was das bedeutet – und wie wichtig es ist, die Hoffnung nicht zu verlieren. © Unsplash, Priscilla du Preez

08. März 2021 von Maren Warnecke

Abstand, Hygiene, Sicherheitsmaske – die sogenannten AHA-Regeln bestimmen seit einen Jahr auch die Arbeit der Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger in Hamburg. Mit der Leiterin Pastorin Erneli Martens sprach Maren Warnecke über die Herausforderungen ihres Alltags, die Uraufgabe von Religion und über die Kraft, die in der Meinungsvielfalt steckt.

Frau Martens, im Durchschnitt wird die Notfallseelsorge fünf Mal in der Woche alarmiert. Die meisten Einsätze finden im häuslichen Bereich statt. Wie macht sich die Corona-Pandemie bemerkbar?

Wir mussten im letzten Jahr in mehreren Schritten lernen, in der Pandemie Menschen zu begleiten, deren Angehörige Opfer von Covid-19 geworden sind. Ich selbst habe in den Anfängen Menschen nur telefonisch begleiten können, da sie in strenger Quarantäne nicht aufzusuchen waren. Doch ist die Notfallseelsorge nicht außer Dienst gegangen und hat auch die von Covid-19 betroffenen Familien zu begleiten versucht.

Inzwischen sind durch ausreichende Schutzausrüstung und AHA-Regeln gute Strategien gefunden, dass wir in betroffenen Familien vor Ort unterstützen können und mit dem Rettungsdienst die Menschen in dieser schweren Zeit begleiten."

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Pastorin Erneli Martens im Zoom-Gespräch© Nordkirche / Maren Warnecke

Hat sich durch Corona das Einsatzspektrum der Notfallseelsorge verschoben?

Im letzten Jahr waren wir in der Notfallseelsorge mit Einsätzen konfrontiert, in denen betroffene Angehörige ausdrücklich den Suizid des Verstorbenen mit der Pandemie verbunden haben. Wenn ein Mensch vielleicht schon in einer schwierigen Situation gelebt hat, weil er sich zum Beispiel von der Familie getrennt hat und unter den Folgen leidet, oder vielleicht selber auch psychisch erkrankt ist, dann kann er sich in allem Kummer manchmal noch halten, weil er einer Arbeit nachgeht und so eine Struktur im Alltag findet. Auch die Arbeitsbeziehungen stabilisieren.

Doch dann ändern sich durch Corona die Rahmenbedingungen: Minijobs und Honorarverträge wurden gekündigt, die Alltagsstruktur bricht ein, erhebliche Gelder fallen weg. Für andere ist das Home-Office eine Herausforderung. Die lebensnotwendigen Kontakte reduzieren sich hier wie da. Schließlich lässt sich die Balance nicht mehr halten.

In meinen Augen zählt auch dieser Verstorbene zu den Corona-Toten, auch wenn er nicht unmittelbar und direkt an Corona verstorben ist, so ist er doch durch die Folgen der Pandemie zu Tode gekommen. Zurzeit kann unsere Gesellschaft das noch nicht wahrnehmen.

Vor einem Jahr, am 8. März 2020, ist der erste Deutsche während eines Urlaubs am Corona-Virus verstorben, ein Feuerwehrmann aus Hamburg.

Das war ein echter Schreck. Ich kannte diesen Mann, weil ich mit ihm in derselben Feuerwehr-Dienststelle arbeite. Und ich wusste, dass er in den Ruhestand gehen würde. Kurz vor seinem Urlaub hatten wir uns auf dem Hof getroffen und uns darüber unterhalten. Mir steht dies Gespräch immer wieder lebhaft vor Augen. Er wirkte so hell und fröhlich, gerade auch im Hinblick auf seinen Ruhestand. Vierzehn Tage später waren die Nachrichten dann so ganz anders.

Wenn Sie zurückdenken: Hätten Sie damals gedacht, dass wir ein Jahr später immer noch in dieser Pandemie sein werden?

Nein, ganz sicher nicht. Mit vielen anderen habe ich gehofft, dass die vielen Freiheitsbeschränkungen im privaten Bereich, dass Besuchsverbote in den Alten- und Pflegeheimen, in den Krankenhäusern und Hospizen, in den Gefängnissen, ein baldiges Ende finden.

Mich hat das Ausmaß an Regelungen erschreckt und es macht mich  wirklich betroffen, wie viel Menschen zugemutet worden ist.

So sehen wir als Gesellschaft viele Opfer der Pandemie nicht. Wir erkennen oft nicht, welchen Belastungen Menschen durch die Gesetze und Besuchseinschränkungen ausgesetzt sind, sehen dann nicht, welche Preise noch gezahlt werden. Was im Krankenhaus, was im Gefängnis wirklich los ist.

Wie wichtig es ist, Menschen in diesen Ausnahmesituationen ihres Lebens zu begleiten, das steht uns mit der biblischen Tradition klar vor Augen, aber als Gesellschaft haben wir Kranke und Menschen in Gefängnissen, in Alten- und Pflegeinrichtungen nur noch sehr eingeschränkt besuchen können. Selbst für Seelsorgerinnen und Seelsorger war zum Teil in diesen Einrichtungen zeitweilig der Zugang beschränkt - inzwischen ist es fast überall wieder möglich, Seelsorge anbieten zu können.

Was erhoffen Sie sich von jedem und jeder Einzelnen, von der Politik?

In den letzten Wochen und Monaten bin ich einer großen Angst begegnet. Angst hat ihr Recht. Sie hilft zu fokussieren und entschlossen Maßnahmen zu ergreifen. Hirnphysiologisch wird eines unserer ältesten Reaktionsprogramme im Umgang mit maximaler Gefährdung mobilisiert: das Gehirn konzentriert sich bei akutem Stress auf das Wesentliche, auf Abwehr oder Flucht.  

Angst ist nur für einen begrenzten Zeitraum ein guter Motor

Doch Angst muss auch begrenzt werden. Denn sie reduziert die Wahrnehmungsbreite und kann Sachverhalte nicht angemessen vielschichtig abbilden. So entwickeln sich blinde Flecken. Wünsche nach 100-prozentiger Sicherheit entstehen, die zwar unrealistisch sind, aber trotzdem als Anspruch in der Gesellschaft einen großen Raum einnehmen. Kreativität im Umgang mit der Krise kann nicht ausreichend zugelassen werden.

Deswegen ist Angst nur für einen begrenzten Zeitraum ein guter Motor. Für eine komplexe Lage wie eine Pandemie ist es sehr wichtig, aus den Grenzen der Angst herauszutreten, um die Lage angemessen zu erfassen, damit entsprechende Entscheidungen getroffen werden können.

Hoffnung ist ein starkes Gegengewicht zur Angst und weitet den Horizont

Von daher wünsche ich mir ein Aufbrechen dieses enger gestellten Horizontes und eine andere Energie: Hoffnung. Hoffnung entwickelt im Menschen eine ganz andere Kraft und Energie, ist ein starkes Gegengewicht zur Angst und weitet den Horizont. Wir müssen als Menschen üben, damit umzugehen, dass wir keine 100-prozentige Sicherheit haben. Das ist eine Uraufgabe von Religion, diese Lücke oder Unsicherheit mit Lebensmut, mit Lebenshoffnung zu füllen.

Und es ist eine Aufgabe für uns alle, an einer offenen, lebendigen Diskussion mit vielgestaltiger Meinung mitzuwirken, damit wir diesen auch mal kontroversen Austausch als Kraft und als Wert erleben. Im Moment habe ich eher den Eindruck, dass die Stimmen leiser werden.

Die Frage für die Zukunft ist, ob wir im Angstmodus verharren oder ob es uns gemeinsam gelingt, den Horizont weit und Hoffnung werden zu lassen. Ich finde, es ist noch offen, was die Gesellschaft daraus macht.

 

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