Neuauflage der Theaterpredigt zu Ibsens „Ein Volksfeind“

Landesbischof Ulrich: „Es braucht Menschen, die Finger in Wunden legen“

Landesbischof Gerhard Ulrich: "Wir müssen uns vor der Macht der Wahrheit nicht fürchten"
Landesbischof Gerhard Ulrich: "Wir müssen uns vor der Macht der Wahrheit nicht fürchten"© Hernandez / Nordkirche

20. November 2015 von Doreen Gliemann, Maren Warnecke

Schwerin. „Wahrheit stört. Sie liegt quer zur Welt, quer zur Macht.“ Gerhard Ulrich, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), hat heute (20. November) bei seiner zweiten Theaterpredigt im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin die Grenzen menschlicher Absolutheitsansprüche thematisiert.

„Wir müssen uns nicht fürchten. Nicht vor der Macht der Wahrheit. Und vor der Wahrheit der Macht schon gar nicht“, sagte Ulrich auf der Bühne im Großen Haus.

Gemeinsam mit dem zehnköpfigen Ensemble des Schweriner Theaters war er in eine Szene des Schauspiels „Ein Volksfeind“ des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen in der Inszenierung von Ralph Reichel eingestiegen, um sie theologisch zu kommentieren. Musikalisch begleitet hat die Theaterpredigt der Komponist und Pianist John R. Carlson.

Kirche und Bühne im Dialog

Mit der Theaterpredigt zu Ibsens „Volksfeind“ haben das Mecklenburgische Staatstheater und die Kirchen ihr Projekt „Dialog Kirche und Bühne“ fortgeführt. Bereits die Premiere der Reihe Ende März dieses Jahres mit der Theaterpredigt von Landesbischof Ulrich zu Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ und auch die Fortsetzung Ende Mai mit dem emeritierten Erzbischof Werner Thissen (Erzbistum Hamburg) zur Oper „La Traviata“ von Guiseppe Verdi waren auf große Resonanz beim Publikum gestoßen.

Leitmotive des gesellschaftskritischen Dramas „Ein Volksfeind“, das Ibsen in einem norwegischen Kurort angesiedelt hat, sind Wahrheit und Macht, Besessenheit und Fanatismus.

Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen dem Badearzt Thomas Stockmann und seinem Bruder Peter, Bürgermeister des Kurortes. Der Badearzt hat entdeckt, dass das Wasser des Kurortes verseucht ist und drängt auf eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse.

Der Bürgermeister und die Honoratioren der Stadt hingegen wollen den Umweltskandal mit allen Mitteln vertuschen. Am Ende des vierten Aktes liegt der Badearzt am Boden: Die Mehrheit hat ihn zum „Volksfeind“ erklärt. Die Gesellschaft, so Ibsen, steht „auf dem verpesteten Boden der Lüge“.

Wahrheit als Dienerin des Lebens

„Es braucht solche Menschen wie Thomas Stockmann – damals wie heute“, so Landesbischof Ulrich zum Publikum. „Dringend gesucht werden sie, die Mutigen, die der Wahrheit zur Macht verhelfen, die nicht schweigen, sich nicht wegducken. Es braucht Menschen, die Feigheit aufdecken und Egoismus – Urquelle aller Angst und Unterdrückung. Es braucht Menschen, die Finger in Wunden der Zeit legen. Denn nur, was uns schmerzt, kann auch heilen.“ Doch wer die Wahrheit von der Liebe, von der Empathie für den Nächsten trenne, trage dazu bei, dass sie missbraucht wird, so Ulrich weiter. „Wahrheit ist Dialog, ist Gespräch, ist Kommunikation. Die Wahrheit will Dienerin des Lebens sein.“ 1989 seien viele Menschen in der früheren DDR für diese Wahrheit auf die Straße gegangen, erinnerte Gerhard Ulrich an die friedliche Revolution der Vorwendezeit: „Die Menschen haben der Wahrheit ins Gesicht gesehen. Ihr Macht verschafft. Und alles verändert.“

Er selbst sei überzeugt von der Macht der biblischen Wahrheit, wie sie in der Bergpredigt geschildert werde, so der Landesbischof: „Selig sind die Friedfertigen; selig sind die Barmherzigen; selig sind die, die nach Gerechtigkeit streben… Ich glaube fest daran, dass so regierte Herzen die Welt anders regieren – mit der Macht der Wahrheit. An der Seite derer, die im Finstern sitzen und nicht haben, was sie brauchen.“

Freiheit als Verantwortung für das Ganze

Ibsens Protagonisten hingegen werden in ihrem Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung, Anerkennung und Recht immer einsamer. „Ihr kreist um euch selbst“, mahnt Ulrich. „Eure Freiheit hat sich abgelöst von jeder Verantwortung für das Ganze. Und kehrt sich um ins Gegenteil. Gefangene seid ihr eurer selbst gebastelten Freiheit!“ Für den Landesbischof ist klar: „Es gibt Freiheit – aber nicht auf Kosten anderer. Es gibt Würde – unantastbar. Mensch sein lernt der Mensch nur am Menschen.“

Unter dem Eindruck der Anschläge von Paris richtete Landesbischof Ulrich das Wort auch direkt an die Zuschauer: „Wir sollten uns von den schrecklichen Ereignissen nicht verleiten lassen, uns abzuschotten gegen alles Fremde, sondern auf die Kraft der Freiheit vertrauen. Wir sind gerade jetzt gerufen, mit den Kräften in allen Religionen zusammenzuarbeiten, die dem Frieden dienen, und zu reden mit allen Menschen guten Willens. Wir sollten, wo immer möglich, gemeinsam aufstehen gegen Terror, Angst und Gewalt und offene Arme haben für jene, die anders sind als wir, und mit uns leben wollen. Trotz allem muss die Botschaft lauten: Frieden und Dialog!“

Im Anschluss an die Theaterpredigt wurde das komplette Schauspiel „Ein Volksfeind“ aufgeführt. Weitere Vorstellungen sind am 22. November um 18 Uhr und am 3. Dezember um 19.30 Uhr im Großen Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters geplant.

Der in Hamburg geborene Gerhard Ulrich studierte zunächst Germanistik, Theaterwissenschaften und Schauspielkunst, bevor er 1974 zum Studium der Evangelischen Theologie wechselte. 2013 wurde er von der Landessynode der Nordkirche zum Landesbischof gewählt. Seine Predigtstätten sind die Dome zu Schwerin und Lübeck. Ulrich ist zugleich Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).

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