Sommerkirche: Musik erleben

Raritäten in unseren Kirchtürmen entdecken: Carillons sind große Glockenspiele

Mehr als 40 Glocken können in einem Carillon erklingen, eine ausgeklügelte und jahrhundertealte Technik schlägt die Töne an. Hier ein Blick auf eines von nur 49 Carillons in Deutschland, im niedersächsischen Goslar.
Mehr als 40 Glocken können in einem Carillon erklingen, eine ausgeklügelte und jahrhundertealte Technik schlägt die Töne an. Hier ein Blick auf eines von nur 49 Carillons in Deutschland, im niedersächsischen Goslar.

13. August 2025 von Kristina Tesch

In Deutschland gibt es bundsweit 49 Carillons - Glockenspiele, die meist in Kirchtürmen zu finden sind. Im norddeutschen Raum begeistern sie unter anderem in Kiel, Schwerin, Hamburg, Lübeck oder Rostock mit ihrem besonderen Klang.

"Lobet den Herren, alle, die ihn ehren": Dieses bekannte Kirchenlied erklingt aus dem Turm des St. Mariendoms in Lübeck zu jeder vollen Stunde. Viele unterschiedliche Töne sind dafür nötig - doch das kann das sogenannte "Carillon" im St. Mariendom. 

Die St. Marienkirche in Lübeck
Blick auf die St. Marienkirche in Lübeck - auch Mariendom genannt. © thorabeti, fotolia

Carillons sind ganz besondere Schmuckstücke in unseren Kirchtürmen, die es selten gibt. Ein Carillon ist ein riesiges Glockenspiel, mit manchmal um die 40 Glocken in den verschiedensten Größen und mit den vielfältigsten Tönen. 

Hintergrund: Was ist ein Carillon? (1/2)

Carillons, auch Turmglockenspiel und Konzertglockenspiel genannt, stammen aus Belgien, den Niederlanden und Nordfrankreich. Das Wort „Carillon“ ist französisch und bedeutet „Glockenspiel“. Nach Vorgaben der World Carillon Federation (WCF) soll ein Carillon aus mindestens 23 Glocken bestehen. Damit reichen sie über zwei Oktaven. Die Glocken werden von einem Spieltisch aus über Seilzüge angeschlagen.

Im Frühjahr 2025 hat die Deutsche Unesco-Kommission „Glockenguss und Glockenmusik“ auf die Liste immaterieller Kulturerbe aufgenommen.

(2/2) Ihre Entstehungsgeschichte reicht bis nach Flandern ins 14. Jahrhundert zurück. Die Stadtmauern schützen dort die Städte, Wächter beobachteten die Umgebung aus dem Turm. Von dort aus warnten sie die Bevölkerung durch das Anschlagen von Glocken - manchmal durch einfache Tonfolgen.

Mehr als 800 Glockenspiele gibt es heute in den Niederlanden. Deutschland hat heute 49 Carillons. Im norddeutschen Raum erklingen Glockenspiele in Göttingen, Hahnenklee, Hannover, Hamburg, Kiel, Lübeck, Rostock und Schwerin. Carillons sind heute auch in Skandinavien und den USA verbreitet. Das erste Carillon Schwedens befindet sich in der St.-Gertruds-Kirche der deutschen Auslandsgemeinde in Stockholm.

Lübeck: 37 Glocken über der Altstadt

In der Lübecker Altstadt kann man das Carillon des Mariendoms in der ganzen Altstadt und manchmal sogar noch weiter hören: Immer zur halben und zur vollen Stunde schlägt das Glockenspiel einen Choral - einen halben zur halben Stunde, einen ganzen zur vollen Stunde. Von 22:30 Uhr bis 5:30 Uhr schweigt das Glockenspiel.

Blick auf das Carillon in der Lübecker St. Marienkirche
Das Glockenspiel mit seinen 37 Glocken stammt ursprünglich aus der Kirche St. Katharinen in Danzig. Das alte Glockenspiel im Dachreiter von St. Marien aus dem Jahre 1510 wurde in der Bombennacht zum Palmsonntag 1942 zerstört.© Helmut Brauer

Die Stiftung 7Türme+ engagiert sich für den Erhalt der Lübecker Altstadtkirchen

Das Glockenspiel wurde 1953 wiederhergestellt und in den Südturm von St. Marien in Lübeck eingebaut. Die größte Glocke wurde erst im Jahr 2019 ergänzt. 

In Hamburg steht das älteste Carillon Deutschlands

Carillon-Spielerin Gudrun Schmidtke aus Hamburg kann ihr Instrument derzeit nicht spielen. Seit Ende Juli ist die Christianskirche in Hamburg-Ottensen eine Baustelle und das Betreten verboten. Doch ab Oktober soll es wieder regelmäßig erklingen. Immer am ersten Sonnabend im Monat um 15.30 Uhr.

Blick auf die Christiankirche im Hamburger Stadtteil Ottensen.
Blick auf die Christiankirche im Hamburger Stadtteil Ottensen.© epd-Bild, Thomas Morell

Gudrun Schmidtke wechselt sich mit fünf weiteren Glockenspielerinnen und -spielern ab. Sie selbst ist die Dienstälteste: Seit 25 Jahren sitzt sie am Spieltisch. „Ich spiele gerne eine Mischung aus weltlicher und geistlicher Musik. Mein Lieblingsstück momentan ist von Papageno aus Mozarts Zauberflöte.“

Ein Wunder: Nach dem Krieg wurden die Glocken gefunden

„Dass das Carillon heute noch existiert, ist ein kleines Wunder“, erklärt sie. Während des Zweiten Weltkrieges hätten die meisten Kirchen ihre Glocken aufgeben müssen, damit Kugeln aus ihnen gegossen werden konnten. In Hamburg landeten die meisten Kirchenglocken auf dem sogenannten Glockenfriedhof auf der Veddel - auch die aus Altona. „Glücklicherweise wurden alle Glocken wiedergefunden. So konnte das Carillon wieder aufgebaut und bereits 1949 wieder bespielt werden.“

Gudrun Schmidtke am Carillon im Turm der Christianskirche
Gudrun Schmidtke am Carillon im Turm der Christianskirche© Harald Schmidtke, Evangelische Zeitung

Das Carillon der Christianskirche sei das älteste noch erhaltene Deutschlands. Im Jahr 1913 stiftete die Kirchengemeinde es zum 200. Jubiläum der Kirche, erklärt Schmidtke. Seit 1999 werde es wieder dauerhaft bespielt. „Menschen, die um die Christianskirche herum wohnen, erzählen uns immer wieder, wie gerne sie ihre Fenster aufmachen, wenn sie wissen, dass das Carillon bespielt wird“, erzählt die Musikerin.

Spenden ermöglichten Carillon im Kieler Kloster

76 Stufen müssen die Carilloneure erklimmen, bevor sie am Spieltisch des Glockenspiels im Turm des Kieler Klosters Platz nehmen können. Der 81-Jährige Gunther Strothmann spielt hier das Instrument, seit es 1999 in das einstige Franziskanerkloster einzog. „Es gab damals keinen, der spielen konnte“, sagt Strothmann trocken und ergänzt: „Das kann man ja lernen.“ Und so war es. „Ich habe anfangs noch einfache Lieder gespielt. Mit der Zeit wurden sie aber immer komplizierter.“

Die Initiative für den Einbau des Carillons sei aus dem benachbarten Landeskirchenamt der damaligen Nordelbischen Kirche gekommen. Die 300.000 DM für die 45 Bronzeglocken, die in Karlsruhe gegossen wurden, seien durch Spenden finanziert worden. 2005 kamen fünf weitere dazu, um mit 50 Glocken vier Oktaven abzudecken. 4.089 Kilogramm wiegt das gesamte Glockenspiel.

Etwa 570 Konzerte, auch von internationalen Künstler:innen, sind bisher auf dem Kieler Carillon gespielt worden. Mindestens an jedem ersten Sonnabend eines Monats gibt es eins. Zudem erklingt täglich um 12, 15 und 18 Uhr ein automatisches Spiel. Eine Melodie erklinge immer, wenn die Bronzeglocken zum Konzert anstimmen: Martin Luthers Choral „Verleih uns Frieden gnädiglich“. „Glocken sind Zeichen des Friedens“, sagt Strothmann.

Mobiles Carillon in Rostock

Das Carillon von Olaf Sandkuhl aus Rostock bringt 3,6 Tonnen auf die Waage, hat 37 Bronzeglocken und ist mobil. 2004 hat er das Instrument von einer niederländischen Glockengießerei zum Kauf angeboten bekommen, und es auf einem umgebauten Kleinlaster installiert.

Seitdem tourt er durch die deutschen Lande und tritt bei Gemeindefesten oder Stadtjubiläen auf. So ein Turmglockenspiel einmal aus der Nähe zu sehen, das sei „Musik zum Anfassen“. Schließlich sei sein mobiles Carillon etwas Einzigartiges: „Ich kenne jedenfalls kein anderes in Deutschland.“

Olaf Sandkuhl aus Rostock tourt mit einem mobilen Carillon im Kleinlaster durch Deutschland.
Olaf Sandkuhl aus Rostock tourt mit einem mobilen Carillon im Kleinlaster durch Deutschland. © Nicole Kiesewetter

 

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