Schönes, Schweres, Bleibendes – Propst Marcus Antonioli im Interview
28. Juni 2025
Marcus Antonioli blickt auf knapp acht Jahre Amtszeit als Propst im Kirchenkreis Mecklenburg zurück. Im Interview spricht er über Strukturveränderungen, den Erhalt historischer Kirchen, Herausforderungen im Ehrenamt und warum eine ehrliche Kirche manchmal auch loslassen muss.
Propst Antonioli, wenn Sie zurückblicken, was hatte Sie im Jahr 2017 gereizt, das Amt eines Propstes anzutreten?
Marcus Antonioli wechselt als Dezernent für den Dienst der Pastorinnen und Pastoren in das Landeskirchenamt der Nordkirche. Das Interview wurde kurz vor seiner Verabschiedung am 29.6.2025 geführt.
Marcus Antoniolo: Ich war auch damals schon viele Jahre in der Synode und im Kirchenkreisrat aktiv und wollte gern nach gut 18 Jahren als leidenschaftlicher Gemeindepastor in unterschiedlichen Kirchengemeinden Mecklenburgs diese besondere Verantwortung für unseren Kirchenkreis mittragen und die Entwicklung unserer Kirche mitgestalten. Mir war es wichtig, die Erfahrungen von der Basis und die Erfahrungen der Reformbemühungen in Mecklenburg einzubringen und unseren Kirchenkreis in der Nordkirche, die ich stets als Projekt unterstützt habe, noch besser zu integrieren.
Sie waren zuvor Pastor in Altkalen, in Rostock-Groß Klein und zuletzt in der Heiligen Geist Gemeinde in der Hansestadt. Was war Ihre Vorstellung von Gemeindearbeit, bevor Sie Propst in Wismar wurden?
Mir war es immer wichtig, dass unterschiedlichste Menschen sich in „meiner“ Kirchengemeinde angesprochen fühlen und sich auch für das gute Miteinander auch im Sozialraum einbringen. Das hat sich dann in sehr unterschiedlichen Formaten niedergeschlagen, von Glaubensgesprächen, über Kindercamps in Altkalen und Groß Klein, über Gemeindereisen unter anderem nach Israel und Griechenland, Kirchenführungen beim Tag des offenen Denkmals, bei Gemeinde- und Tauffesten bis hin zu Konzertreihen oder Kinoabenden in der Kirche.
Gleichzeitig war es mir ein Anliegen, den Gottesdienst so ansprechend und aktuell zu gestalten, dass er tatsächlich ein Mittelpunkt des Gemeindelebens sein kann. Die Predigt war mir dabei meine liebste Pflicht! Darüber hinaus war mir die Seelsorge, insbesondere die Begleitung von Einzelnen in besonderen Lebenslagen, wichtig.
Annähernd 138.000 Mitglieder zählt der Kirchenkreis Mecklenburg. Was erwarten Gemeindeglieder und ebenso Einwohner von der Kirche und der Gemeinde vor Ort?
Die Erwartungen sind sehr bunt und auch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wenn Kirche als ein Ort der Begegnung erlebt wird, wo jede und jeder sich angenommen fühlt, ist schon viel gelungen. Und ich glaube, Menschen trauen uns da auch etwas zu, dass wir auch in einer zerrissenen Zeit, das Gemeinsame stark machen. Vielleicht ist da auch bei vielen eine eher unbestimmte Erwartung, dass wir die Gottesfrage offenhalten, den Glauben auch für Menschen von heute relevant machen. Sozusagen als eine Option unter vielen.
Natürlich erwarten viele von uns, dass wir die denkmalgeschützten Kirchen erhalten, aber das werden wir künftig nur noch mit einer breiten Unterstützung in der Gesellschaft leisten können.
Als zuständiger Propst für die Verwaltung hatten Sie vor allem Strukturfragen im Blick. Ein Beispiel ist der neue, gemeindliche Stellenplan, der Anfang 2026 in Kraft treten soll. Ist das der große Wurf für Mecklenburg, der Ihnen vorschwebte?
Leider sind wir als Kirche eine Organisation mit schwindenden personellen und finanziellen Ressourcen, darum halte ich den eingeschlagenen Weg der vertieften Integration beziehungsweise Fusion von Kirchengemeinden für unvermeidlich. Da ich an Mitverantwortung vor Ort in den Regionen glaube, habe ich versucht, Gemeinden zur Fusion zu bewegen und zuletzt auch Pfarrsprengel zu bilden, die zusammen die Mitarbeitenden-Stellen tragen. Meines Erachtens können nur verbindliche Strukturen und die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams die Arbeit vor Ort stabilisieren. Dabei sollten wir noch stärker über die Rolle des Ehrenamts reden, denn unsere Kirche ist besonders dort lebendig, wo es gelingt, viele Menschen mit ihren Gaben einzubeziehen.
Digitale Räume, mobile Menschen: Kirche neu denken
Kritiker bemängeln, dass Strukturveränderungen fast immer zur Zentralisierung und damit zu einem Rückzug von Kirche aus der Fläche führen würden, was wiederum den Mitgliederschwund beschleunige. Was erwidern Sie auf solche Vorwürfe?
Wenn wir nicht mehr die Kräfte haben, an jedem Ort präsent zu sein, dann gehört es zur Ehrlichkeit, sich das auch einzugestehen. Eine Kirche, die beispielsweise über lange Jahre auch an Orten Gottesdienste anbietet, wo diese kaum besucht werden, sollte sich fragen, ob es nicht bessere Möglichkeiten gibt, die vorhandenen Kräfte einzusetzen. Tatsächlich müssen wir uns fragen, wie kann Kirche wieder relevanter für Menschen, insbesondere auch für jüngere, werden?
Die Behauptung einer flächendeckenden, kirchlichen Präsenz täuscht meines Erachtens oft darüber hinweg, dass man sich scheut, deutliche Schwerpunkte zu setzen. Wir sollten Konzepte entwickeln, die mit der heutigen Mobilität und den Möglichkeiten des Internets rechnen. Direkte Begegnung ist kostbar, aber es bieten sich uns als Kirche noch andere Kommunikationsräume an, die wir zumindest ergänzend bespielen sollten.

Warum Fusionen kein Verlust sein müssen
Im Blick auf gut ein drittel weniger Personalstellen, die besetzt werden können, hatten Sie dafür plädiert, die Idee eines flächendeckenden Pfarrnetzes loszulassen und Neues auszuprobieren. Was konkret meinen Sie und wo steht der Kirchenkreis aktuell?
Dort wo heute schon lebendige Gemeindestrukturen existieren, wird es darum gehen, diese so weiterzuentwickeln, dass sich diese auf mehr Schultern verteilen. Ich meine, es gehört zur wichtigsten Aufgabe von Hauptamtlichen in unserer Kirche, Ehrenamtliche in eigenverantwortlichen Rollen zu begleiten.
An anderen Orten wird es darum gehen, Kristallisationspunkte zu setzen, an denen sich neue Formen von Gemeinde anlagern können. Das gelingt ja schon heute an vielen Orten, aber es braucht den Mut, Prioritäten zu setzen. Und dann wird es auch künftig herausgehobene Angebote wie große Kantoreien in städtischen Zentren geben, für die ja auch heute schon erhebliche Wege in Kauf genommen werden. Übrigens reduzieren sich die Personalstellen im neuen Stellenplan um durchschnittlich rund 20 Prozent, was auch schon einen harten Einschnitt bedeutet.
Blicken wir auf die Steine: 580 Dorf- und 64 Stadtkirchen sind Schatz und Herausforderung für Mecklenburg zugleich. Sie hatten die Idee, dass für die Gemeindearbeit nicht mehr genutzte Kirchen in die Verantwortung des Kirchenkreises übergehen. Sind die rechtlichen Hürden dafür überwunden? Wie ist der Stand? Und gibt es Widerstände vor Ort?
Wir haben in einer Online-Befragung festgestellt, dass es vor allem in Kirchengemeinden mit vielen Kirchen immer schwieriger wird, allein schon die regelmäßige Baubegehung durchzuführen. Tatsächlich haben einige Kirchengemeinden sofort Kirchen benannt, für die sie die Verantwortung abgeben wollen.
Auf ihrer letzten Tagung hat die Mecklenburgische Kirchenkreissynode einen Antrag an die Landessynode beschlossen, der so einen Wechsel der Zuständigkeit hin zum Kirchenkreis ermöglicht. Mit Widerstand rechne ich dabei nicht, weil es ausschließlich um Übertragungen auf Wunsch von Kirchengemeinden geht. Langfristig werden wir eine Struktur brauchen, die eine Verwaltung für all die denkmalgeschützten Kirchen sicherstellt, die nicht mehr von Kirchgemeinden genutzt werden und für die sich keine andere tragfähige Nutzung ergibt. Ansonsten wird diese überfordernde Verantwortung Menschen davon abhalten, sich in den Kirchengemeinderäten auf dem Lande zu engagieren.
Die Herausforderungen waren immens
Bei Ihrer Einführung als Propst sprachen Sie davon, dass „ein gemeinsamer Weg die große Herausforderung unserer Zeit“ sei. Ist es Ihnen gelungen, dass die Kirche in Mecklenburg gemeinsam auf dem Weg bleibt?
Die Herausforderungen waren immens: Meine Dienstzeit begann mit der Umsetzung des damaligen Stellenplanes und war zuletzt mit der Entwicklung des aktuellen Stellenplanes und der Bildung von Pfarrsprengeln oder kooperativen Räumen geprägt. Wie sehr das ein gemeinsamer Weg geworden ist, zeigt sich darin, dass bis auf zwei Kirchengemeinden alle Kirchengemeinderäte der Propstei Wismar eine gemeinsame Finanzierung ihrer Mitarbeitenden in Pfarrsprengeln beschlossen haben. Auch dadurch sind die Kirchengemeinden unserer Propstei gut für die kommenden Jahre aufgestellt! Das ist nur möglich, weil wir gemeinsam unterwegs sind!
So haben wir in den letzten sieben Jahren, teilweise nach intensiven Diskussionen, etliche Gemeindefusionen gefeiert (von 70 Kirchengemeinde sind wir nun bei 47 Kirchengemeinden in der Propstei Wismar angekommen) und haben aus den anfänglich 6 nun 4 Kirchenregionen gebildet. Die Bildung von Pfarrsprengeln wird sicherlich mittelfristig zu weiteren Zusammenschlüssen führen, denn mit der gemeinsamen Finanzierung von Personalkosten wird tatsächlich ja der größte Teil der Lasten gemeinsam geschultert.
Auch der Beschluss einer Schwerpunkliste für Pfarrgemeindehäuser war nach intensiven Diskussionen möglich. Mittlerweile konnten etliche unserer Schwerpunkt-Pfarrhäuser saniert werden. Von anderen Häusern mussten wir uns trennen, das war und ist immer auch mit Verlustschmerzen verbunden. Das ist schmerzhaft, aber unumgänglich, und ich bin allen dankbar, die diesen gemeinsamen Weg beschlossen haben.

Stadtweite Zusammenarbeit in Schwerin – ein kleiner Durchbruch
Wo haben Sie Miteinander nach schwierigen Diskussionen besonders gespürt?
Besonders gefreut hat es mich, dass es durch die konstruktive Mitarbeit der Schweriner Kirchengemeinden gelungen ist, dass wir ein stadtübergreifendes Konzept für die gemeindepädagogische und kirchenmusikalische Arbeit gefunden haben, so dass es unter anderem neben der renommierten Domkantorenstelle auch eine popular-musikalische Kantorenstelle in Schwerin geben wird, die noch einmal andere Zielgruppen ansprechen wird. In diesem Zusammenhang bin ich auch den Mitgliedern des Kirchenkreisrates dankbar, dass sie dies mit einer halben Verfügungsstelle ermöglicht haben. Dazu wird – wie vom zuständigen Propst angeregt - ein stadtweiter Gemeindeverband gebildet, was doch vor wenigen Jahren noch sehr unwahrscheinlich gewesen wäre!
Einen gemeinsamen Weg haben wir in den Konventen und Regionen auch beim Umgang mit den großen Themen unserer Zeit gefunden, so haben sich viele Kirchengemeinden bei Aktionen und kirchlichen Angeboten für den Frieden und für eine offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft eingebracht. Ich erlebe viel Engagement, die Spaltung unserer Gesellschaft jeweils vor Ort zu überwinden. Und was mich persönlich sehr berührt, ich spüre viel Widerstand gegen den Versuch, die Geflüchteten zu Sündenböcken für alle Probleme abzustempeln!
Wenn Sie persönlich auf Ihre leitende Tätigkeit zurückblicken: Was war eine der schönsten und eine der schwersten Dinge, die Sie in den vergangenen Jahren verantworten durften beziehungsweise mussten?
Gleich am Anfang meiner Amtszeit gab es einen schwerwiegenden Disziplinarfall in der Propstei, der mich viel Kraft gekostet hat. - Vielleicht war es in jedem einzelnen Fall nötig, aber manchen Streit hätte ich gern vermieden, wenn ich Einzelnen dabei zu nahegetreten bin, tut es mir leid.
Ich blicke gern auf die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Pröpste-Team, in den Gremien unseres Kirchenkreises, mit den Regionalpastorinnen und Regionalpastoren und Kinder- und Jugendreferentinnen und Referenten, mit der Sekretärin im Propsteibüro Frau Boetzel, sowie mit den Stabstellen im Kirchenkreis und mit der Leitung unserer Kirchenkreisverwaltung zurück. Dieses gute Miteinander werde ich vermissen.
Große Freude haben mir die Besuche und Gottesdienste in den Kirchengemeinden und Regionen der Propstei gemacht. Die unmittelbaren Begegnungen werde ich vermissen. Aber vielleicht werde ich ja hier und da mal für eine Vertretung angefragt. Wer weiß?
Was wünschen Sie dem Kirchenkreis Mecklenburg mit seinen 193 Kirchengemeinden?
Ich wünsche unserem Kirchenkreis und all seinen Kirchengemeinden, dass es gelingt trotz aller Widrigkeiten, einladende Gemeinschaft voller Glauben und Liebe zu leben, ansteckend in der Hoffnung und menschlich verbindend!