Interview zum Landesstiftertag in Schwerin

Sebastian Kriedel: "Der Urgedanke der Stiftung hat biblische Wurzeln"

Der Landesausschuss Stiftungen in MV besteht aus (von links): Dr. Florian Ostrop, Dr. Freia Steinmetz, Karl-Wolfgang Eschenburg, Thomas Agerholm, Dr. Wolf Schmidt und Sebastian Kriedel
Der Landesausschuss Stiftungen in MV besteht aus (von links): Dr. Florian Ostrop, Dr. Freia Steinmetz, Karl-Wolfgang Eschenburg, Thomas Agerholm, Dr. Wolf Schmidt und Sebastian Kriedel © Landesausschuss, Nordkirche

12. Oktober 2022 von Annette Klinkhardt

Mehr als 24.000 Stiftungen setzen sich bundesweit für gemeinnützige Zwecke ein. Auch die Kirche unterhält Stiftungen, um Menschen in Notlagen zu unterstützen oder Kunst und Kultur zu fördern. In Mecklenburg-Vorpommern sind sie oft er erste Berührungspunkt, den Menschen mit Kirche haben. Ein Gespräch mit Sebastian Kriedel, Vorsitzender des neu gegründeten Vereins Landesnetz der Stiftungen in MV.

Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich der Jurist Sebastian Kriedel mit Stiftungen. Im Dezernat Recht der Nordkirche ist der Oberkirchenrat zuständig für die die kirchlichen Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern. Seit April ist er zudem Vorsitzender des neu gegründeten Vereins Landesnetz der Stiftungen. Am 5. November lädt das Landesnetz zum 6. Landesstiftertag in Schwerin ein. Anlass genug, das Thema Stiftungen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. 

Herr Kriedel, Sie beschäftigen sich seit langem mit Stiftungen und sind noch immer Feuer und Flamme für das Thema. Was fasziniert Sie so daran?

Das ist der Charakter des Überzeitlichen: Eine Stiftung ist erst einmal für die Ewigkeit bestimmt. Stiftungen trotzen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, sie sichern Kontinuität in unruhigen Zeiten.

Bekanntestes Beispiel dafür ist sicher die Augsburger Fuggerei, die Jakob Fugger bereits 1521 für Bedürftige gestiftet hat. Die Bewohner dieser Sozialsiedlung zahlen bis heute einen Gulden (etwa 88 Cent) im Jahr und beten täglich ein Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und ein Ave Maria für den Stifter. Daran sieht man gut, wie im Mittelalter der Gedanke der Stiftung mit dem eigenen Seelenheil verknüpft war. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir mit der Geistlichen Stiftungs St. Georg und St. Spiritus in Pasewalk und dem Hospital zum Heiligen Geist Bützow zwei Stiftungen, die seit vielen Jahrhunderten Gutes tun. Die Wurzeln der Pasewalker Stiftung liegen im 13. Jahrhundert in der Pflege von Aussätzigen, die in Gesellschaft keine Stimme hatten, heutzutage wären das Wohnungslose.

Wir unterscheiden im Stiftungswesen nicht besonders zwischen kirchlichen und säkularen Stiftungen: Der Urgedanke der Stiftung hat biblische Wurzeln und stammt aus dem Mittelalter: Es geht darum, dass eine eigenverantwortliche Bürgerschaft gewisse Notlagen in der Gesellschaft verkleinern möchte. Der Staat ist nicht immer in der Lage, alles abzudecken.

Welche Arten von Stiftungen gibt es denn?

Stiftungen decken alle Bereiche und Lebensphasen ab – von der Kinder- und Jugendarbeit, wie sie unsere Evangelische Schulstiftung der Nordkirche in ihren 20 Schulen zwischen Pasewalk und Gülzow wahrnimmt bis hin zu Hospizstiftungen. Es gibt Stiftungen im Gesundheitsbereich, wie das Westmecklenburg-Klinikum Helene von Bülow in Ludwigslust oder das Bethanien-Krankenhaus der Greifswalder Odebrechtstiftung. Im Bereich der Pflege oder der Behindertenhilfe engagieren sich Stiftungen wie der Michaelshof in Rostock, andere fördern Kunst und Kultur.

Sebastian Kriedel
Sebastian Kriedel ist Vorsitzender des Vereins Landesnetz der Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern. © Landesausschuss, Nordkirche

Neben Stiftungen, die operativ arbeiten, gibt es auch reine Förderstiftungen Diese verfügen meist über ein größeres Kapital, das sie an Einrichtungen oder Projekte ausschütten, die ihrer Zielsetzung entsprechen. So unterstützt die Johannes-Bugenhagen-Stiftung Einrichtungen und Projekte im Pommerschen Evangelischen Kirchenkreis. Die "Stiftung zur Erhaltung der Kunstgegenstände in St.Petri" in Wolgast, bemüht sich um den Erhalt der sakralen Kunstgegenstände, insbesondere des Wolgaster Totentanzes.

Solche kleinen regionalen Stiftungen haben es oft schwer, sich bekannt zu machen. Dabei sind sie ein Glücksfall für die Kirchengemeinde. Deshalb brauchen wir ein Netzwerk der Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern, durch die wir alle Stiftungen noch mal anders in Politik und Gesellschaft positionieren können.

Wo kann ich mich über Stiftungen und ihre Ziele informieren ?

Die 179 Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern sind im Stiftungsverzeichnis des Justizministeriums aufgeführt: https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/jm/Zustaendigkeiten/Stiftungswesen/

Unser Landesnetz stellt nach und nach sämtliche Stiftungen auf einer eigenen Seite vor: https://www.mv-stiftungen.de/startseite/stiftungsnetz

Aktuell erstreckt sich die nordkirchliche Stiftungsaufsicht auf die kirchlichen Stiftungen im Sprengel Mecklenburg und Pommern. Für den Bereich der gesamten Nordkirche kann man sich beim Landeskirchenamt informieren oder Kontakt mit dem Landesnetz aufnehmen: recht@lka.nordkirche.de oder info@mv-stiftungen.de

Wann ist es sinnvoll, eine eigene Stiftung zu gründen?

Dafür sollte man schon etwas Vermögen mitbringen: Ab etwa 50.000 bis 100.000 Euro Stiftungskapital kann man, wenn man einen sinnvollen Stiftungszweck hat, darüber nachdenken. Auch hier beraten wir als Landesnetz , ob es sinnvoller ist, eine eigene Stiftung zu errichten oder zuzustiften. Die Zustiftung ist die kleine Stiftungsform: Wenn ich nicht so viel Geld habe, aber den Zweck einer Stiftung so gut finde, dass ich möchte, dass aus den Erträgen wie in den Zeiten vor mit Gutes getan werden kann.

Gibt es außer finanziellen Zuwendungen noch andere Möglichkeiten, Stiftungen zu unterstützen?

Unbedingt! Viele Stiftungen bei uns im Land suchen händeringend Nachwuchs und freuen sich über Frauen und Männer, die bereit sind, sich ehrenamtlich zu engagieren. Auch in der Leitungsebenen: Aufsichtsrat und Vorstand, das ist nicht nur etwas für Manager und Großverdiener, sondern nahezu jede und jeder hat innerhalb einer Stiftung die Möglichkeit, in solchen Gremien Verantwortung zu übernehmen.

Odebrechtstiftung_Krankenhaus_Bethanien
Das Evangelische Krankenhaus Betanien in Greifswald ist heute eine Fachklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.© Anette Klinkhardt, Nordkirche

Das kann das Leben sehr bereichern: Man lernt, in Leitungsstrukturen eingebunden zu sein und macht die Erfahrung, dass die eigenen Gedanken und das eigene Knowhow wichtig sind für das Wohl und Wehe einer Einrichtung. Die Tätigkeit in einer Stiftung kann dabei helfen, auch andere Bereiche im Leben verantwortungsvoll zu planen und umzusetzen etwa mit einer langfristigen Finanzplanung. Als Sachwalter einer Stiftung kann ich Menschen, die Hilfe brauchen, Gutes tun mit einem Vermögen im Hintergrund, dass ich als Privatmensch mit durchschnittlichem Gehalt nicht habe. Ja, man kann die Welt zu einem besseren Ort machen.

Wie sind Sie auf das Thema Stiftungen gekommen?

1991 kam ich als Jurist ins Schweriner Landeskirchenamt. Zu der Zeit bestanden viele Stiftungen nur noch auf dem Papier: Viele waren während des Nationalsozialismus gleichgeschaltet worden, das „Haus Bethanien“, eine bekannte Jugendhilfeeinrichtung in Neubrandenburg etwa wurde enteignet. Das Unrecht, das diese Stiftungen während des Nationalsozialismus erlitten hatten, wurde zu Zeiten der DDR nicht rehabilitiert. Nach der Wende habe ich 29 Stiftungen reaktiviert, die eigentlich nur noch auf dem Papier bestanden, auch indem ich die Satzungen behutsam in die Gegenwart übertragen habe: Alle Stiftungen haben eine ursprüngliche Satzung, die zum Teil ein halbes Jahrtausend alt ist. Diese müssen wir behutsam der Gegenwart anpassen, so dass sie lesbar und anwendbar sind, aber immer noch den Willen des Stifters unverfälscht wiedergeben.

Gibt es eine Stifterin oder einen Stifter, der Sie besonders beeindruckt?

Helene von Bülow ist ganz klar ein Vorbild für mich. Sie stammte aus einer Adelsfamilie in Camin, ein Ortsteil der mecklenburgischen Gemeinde Vellahn und lebte im 19. Jahrhundert. Weil sie früh schon ganz klar einen religiös-karitativen Auftrag für sich gesehen hat, hat sie sich von ihrer Familie gelöst. Sie hat mit ihrem kompletten Besitz von 10 000 Talern in Ludwigslust das Stift Betlehem gegründet und begann, junge Frauen zu Schwestern und Pflegerinnen auszubilden, die auch in andere Landesteile entsandt wurden.

Wieviele kirchliche Stiftungen gibt es denn derzeit in Mecklenburg-Vorpommern?

Von den rund 180 Stiftungen bei uns im Land sind rund 60 kirchlich. Die jüngste wurde im letzten Jahr gegründet: Die Heinrich Behm und Lutz Jastram-Stiftung fördert bedürftige Studierende an der Universität Rostock, indem sie beispielsweise Mietzuschüsse beisteuert. In Greifswald haben wir das Theologische Studienhaus, eine Stiftung des Kirchenkreises.

Muss man denn zur Kirche gehören, um sich in einer kirchlichen Stiftung zu engagieren?

In unserer Region, in der nur noch etwa 17 Prozent der Bevölkerung zu einer Kirche gehört, sind Stiftungen ein wunderbares niedrigschwelliges Angebot, über kulturelles Interesse oder soziales Engagement mit Kirche in Kontakt zu kommen. Menschen können über Stiftungen Kirche aktiv mit gestalten – da gibt es also durchaus eine missionarische Komponente.

Auch deshalb engagiere ich mich im neugegründeten Landesnetz: Damit Stiftungen im kirchlichen, aber auch im säkularen undkommunalen Zusammenhang gestärkt werden.

Das Landesnetz, das im April gegründet wurde ...

Wir hatten bei der Gründungsversammlung 40 Mitglieder, jetzt sind es bereits 50. Mitglieder können nur Stiftungen werden. Die sieben Frauen und Männer im Landesausschuss arbeiten alle ehrenamtlich. Wir beraten bei Neugründungen, bei finanziellen und juristischen Fragen, werben für den Stiftungsgedanken und laden ein zum Stiftungstag, bei dem sich die „Stiftungsgemeinde“ trifft. Das Motto des Landesstiftertags am 5. November „Wie wir alle näher zusammenrücken“ drückt sehr gut aus, weshalb Stiftungen so gut in unsere Zeit passen.

Veranstaltungshinweis

Zum 6. Landesstiftertag am Samstag, 5. November, sind alle eingeladen, die mit Stiftungen zu tun haben oder sich dafür interessieren. Er findet statt von 10.30 bis 16.30Uhr im Lüdwig-Bölkow-Haus der IHK in Schwerin.

Als Gastredner spricht Altbundespräsident Joachim Gauck. Es werden Workshops zu den Themen „Gemeinsam investieren“, „Mut zur Zusammenarbeit“ und „Kooperation zwischen Stiftung und Kommune“ angeboten. Anmeldungen können unter mv-stiftungen.de vorgenommen werden. 

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