Wenn ich an meine Mutter denke...
09. Dezember 2017
Im Familien-Adventskalender wird jeden Tag die Geschichte einer Familie erzählt, deren Mitglieder durch die Flucht voneinander getrennt wurden und sich danach sehnen, wieder zusammenzuleben. Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Pastorin Dietlind Jochims, hat sie aufgezeichnet, um zu zeigen, dass diese Familien zusammengehören. Dies ist die Geschichte von Wahid aus Afghanistan.
Ich heiße Wahid und bin gerade sechzehn Jahre alt geworden. Mein Zuhause war in Afghanistan, aber seit zwei Jahren lebe ich in Hamburg. Ich wohne in einer Wohngruppe mit anderen Kindern und Jugendlichen, ich gehe hier zur Schule, mein Deutsch ist schon ziemlich gut und ich habe Freunde. Eigentlich habe ich ein gutes Leben. Aber ich warte seit mehr als sechs Monaten auf die Entscheidung über meinen Asylantrag. Davon hängt nicht nur meine Zukunft ab, sondern auch die meiner Familie.
"Ich bin traurig und fühle mich schuldig"
Meine Mutter ist noch in Afghanistan. Aus unserem Dorf musste sie weg, nachdem mein Vater getötet worden war und ich geflohen bin. Sie lebt jetzt in Kabul mit meinen vier jüngeren Schwestern. Wenn ich an sie denke, geht es mir als Sohn immer schlecht – ich bin traurig und fühle mich schuldig, dass ich sie und meine Geschwister verlassen musste. Und dann fühle ich mich einfach einsam.
Khadija, meine kleinste Schwester, ist erst vier Jahre alt. Zeinap, die Älteste, wird bald dreizehn. Alle paar Wochen ziehen sie um, weil sie keinen Ort haben, an dem sie bleiben können. Meine Schwestern können nicht zur Schule, es gibt keine Sicherheit. Jeden Tag habe ich Angst, dass ihnen etwas Schlimmes geschieht.
"Wir sind doch eine Familie"
Auch Links zu weiteren Informationen und Petitionen, die sich für den Schutz und die Rechte von geflüchteten Familien einsetzen, sind auf der Seite des Online-Adventskalenders hinterlegt.
Meine Mutter ist sehr krank. Bekannte haben mir mitgeteilt, dass sie vielleicht stirbt. Wenn ich „anerkannt“ werde, darf sie endlich nach Deutschland kommen - allerdings nur, wenn ich dann noch nicht volljährig bin. Aber jetzt habe ich gehört, dass meine Schwestern wahrscheinlich nicht mitkommen dürften. Wie soll das gehen? Sollen vier kleine Mädchen allein in Afghanistan bleiben? Wir sind doch eine Familie. Sie haben doch sonst niemanden. Manchmal glaube ich, ich werde verrückt. Ich bin hier sicher. Aber das Leben ohne meine Familie ist verdammt schwer für mich, denn sie sind alles für mich. Ohne meine Familie bin ich nur ein Junge, der immer nachdenkt, ein Junge, der immer weinen muss, aber trotzdem nicht aufgeben will. Ich würde alles tun, um meine Familie wieder zu sehen.
Seit einigen Tagen weiß Wahid, wie über seinen Asylantrag entschieden wurde. Er darf erst einmal in Deutschland bleiben. Der Familiennachzug ist jedoch nicht erlaubt.