Die Geschichte hinter den Geschichten
21. Dezember 2017
Sie wühlen auf und werden geteilt - die Geschichten aus dem Familien-Adventskalender. Hinter jedem Türchen findet sich online eine Geschichte einer geflüchteten Familie, die getrennt wurde. Dietlind Jochims, die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, erzählt, wie es dazu kam.
„Mein Name ist Hakim, und ich komme aus Syrien“, heißt es in der ersten Geschichte des Familien-Adventskalenders "Meine Frau Alia, meine Söhne und ich waren glücklich dort – bis der Krieg kam." Auf wenigen Zeilen erfährt der Leser vom Schicksal des jungen Syrers, der seine Frau bei einem Granatenangriff verlor, nach Deutschland flüchtete und darum bangte, ob seine Kinder endlich auch bei ihm leben dürfen.
"Am überzeugendsten sind Geschichten, die die Menschen selbst erzählen"
"Diese Geschichten sind alle Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass Familien zusammenbleiben", sagt Dietlind Jochims, die den Familien-Adventskalender initiiert hat. "Und wie anstrengend und schlimm es ist, wenn sie es nicht können."
Schon im vergangenen Jahr hat sie zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen das Thema "Afghanistan" in einem Online-Adventskalender mit Geschichten aufgenommen. "2016 war das groß in der Diskussion und da haben wir uns gefragt: 'Wie kann es noch einmal deutlich werden, warum wir davon überzeugt sind, dass Afghanistan nicht sicher ist?'", so Jochims. "Am überzeugendsten sind die Geschichten, die die Menschen selbst erzählen."
Kinder halfen ihren Eltern beim Erzählen
Nach der positiven Resonanz im vergangenen Jahr - allein die Klickzahlen des Kalenders lagen im sechsstelligen Bereich - war klar, dass es wieder einen Kalender geben würde. Und zwar unter dem aktuellen Motto "Familien gehören zusammen". Im Oktober begannen Jochims und weitere Mitarbeiter und Flüchtlingsbeauftragte Geschichten zusammenzutragen. "Manche der Menschen kennen wir schon länger, die konnten ihre Geschichte schon auf Deutsch erzählen", sagt die Flüchtlingsbeauftragte. "Bei manchen sind Kinder dabei, die schneller Deutsch gelernt haben als ihre Eltern und dann für ihre Eltern erzählen konnten." Auch Dolmetscher halfen bei einigen Erzählungen.
Nicht nur Zahlen, tatsächliche Menschen
Viele Menschen waren dazu bereit, von ihren Erlebnissen, ihren Gefühlen, ihrem Weg zu erzählen - selbst wenn die Geschichte (noch) kein positives Ende genommen hat. "Es macht es nicht leichter oder erträglicher", sagt Jochims. "Aber ohne Erzählen implodiert man irgendwann." Und es zeige, dass hinter den Zahlen, von denen immer gesprochen wird, tatsächliche Menschen stecken.
Ob das nicht ein zu schwieriges Thema für die besinnliche Weihnachtszeit ist? "Tatsächlich haben wir uns bemüht, die Geschichten so zu sortieren, dass nicht mehrere sehr dramatische Geschichten hintereinander kommen", sagt Jochims. "Aber es ist ein Thema, das einfach sehr schwierig ist und da kann man nichts beschönigen."
Die Geschichten werden geteilt
So handeln die Geschichten nicht nur von Familien, die wieder zusammenfinden konnten, sondern auch von solchen, die für immer entzweit wurden - wie etwa im Fall von Salah, dessen Angehörige auf der Flucht mit einem Schlauchboot gekentert und vor der türkischen Küste ertrunken sind. Salah bekommt nun wohl das Recht des Familiennachzugs. In seiner Geschichte fragt er: "Doch wozu noch?"
Die Geschichten werden an Freunde per Mail geschickt, in den sozialen Medien geteilt - mit der Hoffnung, "dass das Verständnis und die Hilfsbereitschaft wächst", wie eine Nutzerin auf Twitter schreibt.
Die Geschichte von Hakim, der seine Frau im Krieg verlor, jedenfalls kann schon weitererzählt werden. "Er hat vor kurzem noch einmal geheiratet", sagt Jochims. "Er hat gesagt: 'Ich versuche es noch mal mit Familie'."