Geschichte

Gegen das Vergessen: Gottesdienst und Kunst zu 25 Jahre Rostock-Lichtenhagen

© epd-bild, M. Pfahl

16. August 2017 von Anne-Dorle Hoffgaard, Maren Warnecke

Das "Sonnenblumenhaus" in Rostock-Lichtenhagen wurde 1992 weltweit zum Symbol für schwere rassistische Ausschreitungen. 25 Jahre später wird vom 22. bis 26. August mit einer Gedenkwoche und fünf Kunstobjekten an die Ereignisse erinnert. Zum Auftakt gibt es am Dienstag (22. August) um 17 Uhr eine Veranstaltung in der Marienkirche, der evangelischen Hauptkirche Rostocks.

Die Bilder gingen vor 25 Jahren um die Welt: Am 24. August 1992 belagerten Hunderte Jugendliche und Erwachsene das "Sonnenblumenhaus" im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen. Aus der Menge heraus wurden Steine und Brandsätze geworfen. Die Krawalle einiger hundert Gewalttäter wurden durch 2.000 bis 3.000 Sympathisanten und Schaulustige vor Ort unterstützt. Etwa 150 Menschen konnten sich nur durch Flucht auf das Dach des Hauses vor dem Feuer retten, darunter 120 Vietnamesen, ein ZDF-Team und einige Rostocker. Dies war der traurige Höhepunkt der vom 22. bis 26. August 1992 andauernden ausländerfeindlichen und rassistischen Krawalle vor der Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber im "Sonnenblumenhaus" und dem benachbarten Wohnheim für Vietnamesen.

Große Verunsicherung unter den arbeitslosen Anwohnern

Die Ausschreitungen hatten eine längere Vorgeschichte. In Lichtenhagen war damals ein großer Teil der Bewohner arbeitslos und durch die sozialen Folgen der deutschen Vereinigung verunsichert. Seit Monaten campierten Flüchtlinge, die angeblich wegen Überlastung von der Erstaufnahmestelle noch nicht aufgenommen worden waren, auf den Freiflächen zwischen den Hochhäusern. Die Spannungen vor Ort hatten sich bereits über Monate hinweg verschärft. Der damalige Rostocker Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter hatte bereits im Sommer 1991 für Oberbürgermeister Klaus Kilimann (SPD) ein Schreiben an den Schweriner Innenminister Lothar Kupfer (CDU) verfasst. Darin stand unter anderem, dass er in diesem Stadtteil für nichts garantieren könne und auch Tötungsdelikte nicht auszuschließen seien, sollte sich an der Situation vor Ort nicht kurzfristig etwas ändern.

Die Rostocker Bürgerschaft entschuldigte sich vor fünf Jahren, zum 20. Jahrestag der Ausschreitungen, in einer Erklärung bei den Opfern. Rund 150 Menschen hätten damals um ihr Leben fürchten müssen, während Rechtsextremisten aus ganz Deutschland, aber auch Tausende Rostocker Beifall klatschten, hieß es darin. Die in der Verantwortung stehenden Behörden von Bund, Land und Kommune hätten versagt. Die Ereignisse dürften weder verdrängt, noch beschönigt oder vergessen werden. Die Aufarbeitung sei ein immerwährender Auftrag.

Gedenkwoche mit Gottesdienst und Kultur

Einen weiteren Schritt des Gedenkens will Rostock in diesem Jahr vom 22. bis 26. August mit einer Gedenkwoche gehen. Zum Auftakt gibt es am Dienstag (22. August) um 17 Uhr eine Veranstaltung in der Marienkirche, der evangelischen Hauptkirche Rostocks. Dazu wird auch der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, erwartet. Die Krawalle von Rostock-Lichtenhagen 1992 hatten sich auch gegen Sinti und Roma gerichtet.

Politikwissenschaftler und Studenten der Universität Rostock hatten vor fünf Jahren in einer Publikation auf die besondere Rolle der Sinti und Roma hingewiesen. Die als "Zigeuner" Bezeichneten seien in den Wochen vor Lichtenhagen "als Fremdgruppe in den Medien aufgebaut" worden, heißt es dort. In den Lokalzeitungen seien die Roma unter anderem als "schmutzig", "kriminell" und "asozial" bezeichnet worden. "Der Antiziganismus der Bevölkerung hat das Pogrom entfacht." Im Verlauf der Ausschreitungen habe sich dann ein allgemeiner Rassismus breit gemacht, wie der Angriff auf die Unterkunft vietnamesischer Vertragsarbeiter zeige.

In ihrem Text hatten die Politikwissenschaftler auch einen dauerhaften Ort des Erinnerns und Gedenkens an die Ereignisse von Lichtenhagen gefordert. Erste Schritte dazu waren im August 2012 unternommen worden. Doch die Friedenseiche, die als Erinnerungszeichen beim "Sonnenblumenhaus" gepflanzt worden war, war noch im selben Monat von unbekannten Tätern abgesägt worden. Auch die am Rathaus angebrachte Gedenktafel wurde nur wenige Monate später, im Dezember 2012, von Unbekannten abgeschraubt. Die Tafel wurde ersetzt, der Baum jedoch nicht. Die Gefahr, dass er erneut abgesägt wird, erschien der Stadt zu groß.

Marmor-Stelen zum Thema "Gestern Heute Morgen"

2017 unternimmt die Stadt nun einen neuen Versuch, um 25 Jahre nach den Ausschreitungen etwas Dauerhaftes zu schaffen. In diesen Tagen werden fünf Stelen aus Marmor in verschiedenen Stadtteilen eingeweiht, die die Künstlergruppe "Schaum" zum Thema "Gestern Heute Morgen" gestaltet hat. Diese Künstlergruppe besteht aus Alexandra Lotz und Tim Kellner.

Die fünf Kunstobjekte tragen die Titel "Politik", "Medien", "Gesellschaft", "Staatsgewalt" und "Selbstjustiz". Aufstellt werden sie vor dem Rathaus, dem Verlagsgebäude der "Ostsee-Zeitung", am ehemaligen Standort des "JugendAlternativZentrums", an der Polizeiinspektion und beim "Sonnenblumenhaus". Damit will die Stadt das Konzept des dezentralen Erinnerns und Mahnens "Lichtenhagen 1992" umsetzen.

Begleitend werden an den verschiedenen Erinnerungsorten dokumentarische Songtexte live aufgeführt. Diese "Gesangsstücke" haben die Künstler Stefan Krüskemper, Oscar Ardila und Michaela Nasoetion gemeinsam mit Rostocker Einwohnern entwickelt. Sie sollen, so die Stadtverwaltung, ein lebendiges Gedenken sein.

Experten warnen vor Ausbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Milieus

Vergleichbares wie in Rostock sei 25 Jahre später zwar unwahrscheinlich, doch Rechtsextremismus-Experten haben vor einer erneuten Ausbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Milieus gewarnt. In Politik, Behörden und Zivilgesellschaft sei zwar ein deutlich stärkeres Engagement gegen Rassismus zu verzeichnen, sagte Bianca Klose, Leiterin der Berliner Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, am Dienstag in der Bundeshauptstadt. Die Situation habe sich jedoch nicht grundlegend geändert, nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung seien in zugespitzten Situationen weiter rassistisch mobilisierbar.

"Die Politik darf sich nicht von den rassistischen Stimmungsmachern vor sich hertreiben lassen", mahnte Klose. Einschüchterungsstrategien der rechtsextremen Szene unter anderem gegen Flüchtlingshelfer müsse eindeutig entgegengetreten werden. Notwendig sei auch ein möglichst bundesweit einheitliches Bleiberecht für Ausländer, die Opfer rechter Gewalt wurden. Beratungsstellen und Unterstützungsprogramme für Rechtsextremismus-Opfer müssten zudem verlässlich finanziert werden.

 

Info

22. August, 17 Uhr: Gedenkgottesdienst in der Rostocker Marienkirche; gegen 18.30 Uhr wird das Kunstobjekt "Politik" vor dem Rathaus am Neuen Markt eingeweiht.

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