"Ich wollte wissen: Was passiert da beim Sterben?"
22. November 2025
Wie begleitet man Menschen zum Lebensende? Das Sterben von Nahestehenden macht viele hilflos – auch weil „uraltes Wissen zum Sterbegeleit“ in der Moderne verloren gegangen ist, wie die Organisation Letzte Hilfe (Schleswig) auf ihrer Website schreibt. Sie bietet deshalb bundesweit Kurse an, um Basiswissen zur Sterbebegleitung zu vermitteln.
Einen davon hat Ina Willax aus dem oberpfälzischen Berching im Herbst in der Nürnberger Hospizakademie besucht. Über ihre Motive und ihre Erkenntnisse sprach Willax anlässlich des Ewigkeitssonntags (23. November) mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Frau Willax, wie hat Ihnen der Kurs gefallen?
Ina Willax: Der Kurs war interessant und kurzweilig. Er dauerte von 16 bis 20 Uhr und war kostenfrei. Wir waren 20 Teilnehmer, es gab sogar eine Warteliste. Die Nachfrage ist da. Das Thema Sterben betrifft uns alle irgendwann.
Warum haben Sie teilgenommen? Gab es bei Ihnen ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu gebracht hat?
Aus dem Archiv: Interview mit Palliativmediziner Dr. Georg Bollig
Willax: 2008 starb mein Vater. Da war ich Anfang 30 und an vielen Stellen überfordert. Ich konnte nur zuschauen, wie er aus dem Leben ging. Berührt haben mich auch der Tod einer Schulfreundin und von älteren Bekannten. Ich habe mir Hilfe und Wissen gewünscht und mich dann immer mehr der Hospizarbeit zugewandt. Ich wollte wissen: Was passiert da beim Sterben, und wie kann ich jemanden mitbegleiten?
Hätten Sie Ihren Vater anders begleitet, wenn Sie damals mehr gewusst hätten?
Willax: Hätte ich gewusst, dass es seine letzte Lebensphase ist, hätte ich ihm ein Sterben zuhause ermöglicht. Menschen sollen ihr Lebensende in einer geborgenen Atmosphäre erleben, in der sie sich wohlfühlen - wie auch an ihrem Lebensanfang.
Es geht in den Kursen vor allem um Wissen?
Willax: Der Kurs hatte vier Module. Das erste war die medizinische Seite: inwiefern Sterben ein Teil des Lebens ist. Dann kamen rechtliche Fragen zum Vorsorgen und Entscheiden, etwa dass eine Vorsorgevollmacht wichtig ist. Bei der praktischen Übung haben wir ausprobiert, wie wir selbst Leiden lindern können. Und schließlich ging es um Abschiednehmen und Sterberituale.
Ist Sterbebegleitung nicht uraltes Menschheitswissen, ist uns in der Moderne da etwas verloren gegangen? Oder weiß man in der Palliativmedizin heute einfach mehr?
Willax: Vor etwa 20 Jahren war das Bewusstsein bei mir noch nicht so da, dass auch ambulante Palliativversorgung und Hospizbegleitung zuhause möglich sind. Da haben die Hospizvereine viel an Aufklärung geleistet, um das Thema aus der Tabuecke herauszuholen. Ich finde den Namen „Letzte Hilfe“ passend.
Was haben Sie medizinisch über das Sterben gelernt?
Willax: Ich habe gelernt, welche Phasen der Sterbeprozess hat und was die Anzeichen für das Lebensende sind, wenn der Körper nach und nach seine Funktionen einstellt. Wenn jemand schwer atmet, würde man bei Erster Hilfe alles tun, um die Atmung zu erhalten. Beim Sterben ist das ganz normal. Der Körper konzentriert sich auf die wesentlichen Organe wie Herz und Gehirn. So werden als erstes die Füße kalt. Die Haut und die Temperatur verändern sich, die Sauerstoffversorgung lässt nach.
Wie geht man mit diesem Wissen um?
Willax: Zum einen kann ich es als Angehörige besser annehmen, dass sich der Sterbende auf den Weg macht. Ich persönlich glaube an ein Leben nach dem Tod. Zum zweiten haben wir gelernt, was wir tun können, um ihm den Abschied angenehmer zu machen: seine Lippen befeuchten, seine Hand halten, vielleicht Lieder singen. Das läuft oft intuitiv, je nachdem, was der Sterbende früher gerne mochte.
Fühlen Sie sich jetzt besser gewappnet für den Fall, dass Sie wieder jemanden beim Sterben begleiten?
Willax: Ja, ich meine, nun mehr Ruhe und Gelassenheit für künftige Situationen zu haben. Es ist auch bedeutsam, dass es mir gutgeht mit meinen eigenen Bedürfnissen, um gut für andere da sein zu können. Wir haben Kontaktadressen bekommen etwa von Palliativversorgung und Hospizbegleitern, an die ich mich wenden kann. Die Hospizvereine kennen auch Ansprechpartner.
Wie sah die praktische Übung aus?
Willax: Wir haben uns selbst mit einem feuchten Wattestäbchen die Lippen betupft und gespürt, wie angenehm das ist. Zum praktischen Lindern von Leiden gehört auch, dem Sterbenden letzte Wünsche zu erfüllen, etwa noch einmal in den Tiergarten zu gehen oder sich mit jemandem auszusprechen.
Welches neue Wissen hilft Ihnen noch?
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Willax: Ich fand es interessant zu wissen, wie lange Verstorbene in der Wohnung bleiben dürfen. Da fehlte mir die Information, wann ich nach Todeseintritt den Leichenwagen rufe. In den meisten Bundesländern hat man 36 Stunden, in Bayern legen die Kommunen die Aufbahrungsfrist fest. Ich habe also Zeit, in Ruhe die Verwandten anzurufen und zuhause die Abschiedsrituale zu zelebrieren. Die Todesbescheinigung stellt der Hausarzt einige Stunden nach dem Todeszeitpunkt aus. Diese braucht man fürs Standesamt und für Versicherungen. Solche organisatorischen Dinge sind hilfreich vorher zu wissen, denn in der konkreten Situation stehen viele Menschen unter Schock.
Wie wirkt sich Ihr neues Bewusstsein von Sterblichkeit auf Ihren Alltag aus?
Willax: Als ich 2021 eine Operation hatte, begann ich, mich aktiv mit meinem eigenen Tod zu befassen. Ich habe einen Ordner angelegt für diesen Fall. Darin steht alles, was es für meine Kinder zu wissen gilt, um ihnen so manche Entscheidung später abzunehmen. Dazu zählt, wie ich bestattet werden will oder wie meine Sterbeanzeige aussieht. Auch meine Passwörter und sonstige wichtige Informationen habe ich dort notiert.
Hat man so das Gefühl, das eigene Ende wenigstens ein bisschen kontrollieren zu können?
Willax: Ich finde, gute Vorbereitung gehört zu einem selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Leben dazu. Auch meine Besitztümer will ich schon zu Lebzeiten so sortieren, dass meine Kinder es leicht haben beim Ausräumen. Ich sehe es als meine Aufgabe, das zu regeln, was ich jetzt tun kann. Es ist auch wichtig, mit den eigenen Lebenswegen inneren Frieden zu finden, zu erkennen, welche Dinge ich ich zu bereinigen habe, welche Gespräche noch offen sind und was ich hinterlassen will.
Wie verändert die Beschäftigung mit dem Tod das Leben?
Willax: Indem ich mich mit dem Sterben befasse, bekommt das Leben eine intensivere Qualität. Ich lebe bewusster im Hier und Jetzt. Es geht darum, zum Lebensende zu blicken, um auch die eigene Lebensaufgabe zu finden, um Wünsche und Ziele formulieren zu können.
Sie sind Kommunikationstrainerin. Ist Kommunikation auch ein Thema für die Sterbebegleitung?
Willax: Es geht um den bewussten Umgang mit Sprache. Das gilt auch für die letzte Lebensphase. Wenn jemand sagt, „ich will nicht mehr leben“, dann hat das eine andere Aussagekraft als „ich will sterben“. Angehörige sagen oft, sie „müssen“ für jemanden da sein. Das erzeugt unnötigen Druck. Stattdessen zu sagen, „ich bin für jemanden da“, hat eine herzliche Qualität. Ich arbeite hierzu regelmäßig mit Hospizbegleitern zusammen.
Der Kurs wird auch für Kinder und Jugendliche angeboten. Betrifft das vor allem solche, die einen schwerkranken Angehörigen haben?
Willax: Nein, diese Kurse richten sich an alle jungen Menschen. Sie können lernen, mit all den Gefühlen umzugehen und dass der Tod zum Leben gehört. Ich habe in unserem Obst- und Gartenbauverein das Thema vorgestellt, und demnächst findet nun dort ein Kurs statt. So holen wir das Thema zu den Menschen.
