Doppelinterview Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt und Bischof Pytel

Deutsch-polnische Versöhnung: Kirchen haben die Funktion eines Brückenbauers

Bischof Pytel und Landesbischof Kühnbaum-Schmidt beim diesjährigen Treffen in Schwerin.
Bischof Pytel und Landesbischof Kühnbaum-Schmidt beim diesjährigen Treffen in Schwerin. © Theresa Lange

06. Dezember 2023 von Dieter Schulz

Die Zusammenarbeit auf dem Feld der Diakonie war eines der Hauptthemen beim diesjährigen Treffen zwischen Vertreter:innen der Nordkirche und der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen. In einem Doppelinterview sagen Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt und Bischof Waldemar Pytel, welche Bedeutung der Versöhnung zukommt und wie politisch Kirche heute sein darf.

Die Nordkirche und die Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen pflegen einen engen Austausch. Bei dem diesjährigen Treffen in Schwerin sprachen unsere Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt und Bischof Waldemar Pytel unter anderem darüber, welche Rolle die Kriegsgeschichte bis heute für die deutsch-polnischen Beziehungen spielt und was beide Kirchen voneinander lernen können. 

Nordkirche: Die deutsch-polnische Geschichte ist eine Geschichte von Kriegen. Selbst unter den Regierungen von SED und Kommunistischer Partei gab es keine wirkliche Freundschaft zwischen Deutschland und Polen. Erich Honecker war bereit, sich an der militärischen Unterdrückung der Solidarność-Bewegung zu beteiligen. Können beide Kirchen diese Vergangenheit wirklich ausblenden? 

Bischof Waldemar Pytel: Ich glaube, es geht nicht darum, dass man diese Vergangenheit vergisst, sondern dass man diese Vergangenheit auf eine richtige Weise reflektiert. Unsere Beziehungen beruhen auf der Bibel, auf dem Wort Gottes. Mir persönlich ist in diesem Bezug das Wort des Apostel Paulus wichtig, der dazu aufruft, uns mit Gott zu versöhnen. Zuvor sollte man sich aber mit dem Nächsten versöhnen. Sicher ein sehr schwieriger Prozess.

Nach den vielen Jahren, in denen wir dachten, dass unsere Beziehungen wirklich gut und alle Probleme ausdiskutiert sind, kommen wir heute wieder an den Anfang zurück. Oder, wie ich es in meiner Predigt formuliert habe, es werden auf beiden Seiten die alten Dämonen wieder wach. Die Kirche spielte eine wichtige Rolle im Prozess der deutsch-polnischen Versöhnung. Und das ist auch heute unsere Aufgabe.

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt: Wir können die Geschichte nicht ausblenden. Und sie wird auch nicht ausgeblendet. Die Vergangenheit ist in unseren Gesprächen, auch in den ganz persönlichen, immer wieder Thema. Zudem ist es in meiner Wahrnehmung so, dass in den Zeiten des Ost-West-Verhältnisses, über die wir gerade sprechen, Kirchen immer die Funktion des Brückenbauers wahrgenommen haben. Damit haben Christenmenschen dem, was auf offizieller Staatsebene als Beziehung – oder besser als Nicht-Beziehung – gelebt wurde, eine andere Wirklichkeit von Verbindung und Solidarität entgegengesetzt, die sich letztlich als stärker erwiesen hat.

Was die Solidarność-Bewegung in Polen geleistet hat, war von entscheidender Bedeutung für die Demokratiebewegung und die friedliche Revolution im östlichen Teil Deutschlands. Und Christinnen und Christen beider Konfessionen hatten in beiden Ländern großen Anteil daran.

Sie haben es beide gerade angesprochen: In beiden Ländern haben die Kirchen eine wichtige Rolle bei der Überwindung der kommunistischen Diktaturen gespielt. Wie politisch muss oder darf Kirche heute noch sein?

Bischof Waldemar Pytel: Eine insofern schwierige Frage, da wir in Polen eine etwas andere Sichtweise auf die Beziehungen zwischen Kirche und Politik haben.

Wir pflegen häufig zu sagen, dass sich Kirche nicht in die Politik einmischen sollte, dass sie eine andere Aufgabe hat. Vielleicht ist dies eine Frage unserer Identität. Da die katholische Kirche eine so große Rolle im politischen Leben Polens ausübt und sich direkt in die Politik einmischt, stehen wir auf dem Standpunkt, dass wir eine gewisse Distanz zu Politik wahren und uns nicht sofort in die politischen Diskussionen einmischen sollten. Aber diese Trennlinie ist eher unscharf, da sie nicht bedeutet, dass Kirche sich nicht zu sozialen Fragen äußert. Diese vermengen sich aber häufig mit der Politik oder hängen von politischen Entscheidungen ab. Es ist aber auch eine Lehre aus unseren Erfahrungen in der Vergangenheit: Je weniger Politik in der Kirche, desto mehr Menschen vorm Altar und in den Kirchenbänken.

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt: Ich würde die Frage ein wenig umdrehen wollen. Indem die Kirche Theologie und vor allem gute Theologie treibt, wird sie politisch – ob sie es will oder nicht. Eine Position, die von vorneherein rein politisch begründet ist, steht uns als Kirche nicht gut an und wird sich letztlich für uns auch nicht als tragfähig erweisen.

Aber eine politische Position, die wir aufgrund einer gründlichen theologischen Reflexion und Debatte beziehen, ist nicht nur möglich, sondern nun angemessen. Das heißt, weil unser christlicher Glaube jeden Menschen als Geschöpf Gottes mit gleicher Würde versteht und bekennt, ist es unsere aus dem Glauben folgende Verantwortung, uns auch politisch für die gleiche Würde aller Menschen einzusetzen. Wir können sozusagen gar nicht anders. Insofern wird die Kirche immer dann politisch sein, wenn sie vom Glauben und von der Theologie her gerufen ist, auch politisch ein Zeugnis abzulegen, das letztlich aber ein Zeugnis des Glaubens ist.

In Polen hat allein die Stadt Breslau/Wrocław zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine 100.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen. Diese Leistung gelang mit Unterstützung der Diakonie in Polen – eines im wahrsten Sinne des Wortes Diaspora-Werkes. Die Nordkirche ist im Vergleich dazu riesig – was können beide Kirchen trotzdem voneinander lernen? 

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt: Mich fasziniert bei unseren polnischen Partnern immer wieder, dass sie einfach pragmatisch handeln. Ich habe den Eindruck, dass Ihr nicht zuerst in langen Verfahren klärt, ob es eine Genehmigung braucht oder ein Verwaltungsverfahren. Nein, Ihr sagt: wir wollen da jetzt helfen, weil Euer Gewissen, Euer Glaube Euch ruft. Die Frage, wie das finanziert werden kann, kommt erst danach. Diese Haltung – wir machen das jetzt und weil wir es wollen, finden wir auch eine Möglichkeit, es zu bezahlen – hat mich außerordentlich beeindruckt. Von dieser Unmittelbarkeit, von diesem Optimismus und dieser Zuversicht – wir machen es jetzt, weil es Not tut und deshalb schaffen wir es auch – können wir als Nordkirche sehr gut lernen.

Bischof Waldemar Pytel: Ich denke, das hat mit unserer polnischen Mentalität zu tun. Wie alles, hat auch diese Mentalität Vor- und Nachteile. Wir beginnen zu handeln, lassen uns dabei von unseren Emotionen leiten und überlegen erst dann, woher wir das Geld dafür bekommen. Was wir von der Nordkirche lernen können, ist mit Sicherheit eine gewisse Struktur, ein geordnetes Handeln und Agieren. Wir können gern unsere Emotionen und Fantasien liefern, wenn Sie geordnetes Arbeiten und Solidität vermitteln können. Als Kirche in der tiefen Diaspora zu leben und aus dieser Tatsache die Freude und die Kraft zu schöpfen, Zeugnis zu geben. Daraus können ganz hervorragende Projekte entstehen, weil wir uns so gut ergänzen.

Frau Landesbischöfin, Herr Bischof – Sie beide schätzen sich über allen Maßen. Dennoch: Über die Mentalität von Deutschen und Polen gibt es viele Mythen. Um welche Eigenschaften beneiden Sie einander?

Bischof Waldemar Pytel: Ich schätze Frau Landesbischöfin sehr. Mythen werden von Menschen geprägt. Als Bischof pflege ich viele internationale Beziehungen: Wir treffen uns, wir sprechen miteinander, wir lächeln uns an – die Probleme mit der unterschiedlichen Sprache haben da wenig Einfluss. Von Frau Landesbischöfin kann ich mit Sicherheit viel von ihrer Professionalität lernen. Aber da kommen wir in den Bereich, welche Möglichkeiten man in seinem Amt hat. Ich bin der Diözesanbischof.

Ich beneide Frau Landesbischöfin um ihre Struktur und die organisatorischen Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen. Wir haben uns darüber unterhalten, dass die Nordkirche gute Beziehungen auch zur Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern unterhält. Ich wünschte mir dermaßen gesunde Beziehungen auch bei mir in Polen.

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt: Ich kann das Kompliment von Bischof Pytel nur zurückgeben. Wir beide freuen uns, wenn wir uns sehen, nehmen aneinander Anteil. Manchmal ist das eine kurze SMS oder eine Nachfrage, wenn man sieht oder hört, dass es in der anderen Kirche ein Problem gibt. Das ist sehr schön und nicht selbstverständlich. Ich schätze an unseren polnischen Geschwistern, dass sie Herzlichkeit, Gastfreundschaft, und Pragmatismus auf unverwechselbare Weise miteinander verbinden und dass es eigentlich immer für alles eine Lösung gibt. Auch unkonventionelle Lösungen.

Etwas zugespitzt gesagt: Während wir in Deutschland noch an einer Fragestellung feilen, die das Problem umkreist, wird in Polen schon gehandelt. Das bewundere ich.

Hintergrund

Vom 19. bis 22. November 2023 trafen sich in Schwerin Mitglieder der Kirchenleitungen der Nordkirche und der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen zu einem mehrtägigen Austausch.

Einen Schwerpunkt bildet die Arbeit der Diakonie in Polen und Deutschland und was beide Kirchen hierbei voneinander lernen können.

Zudem führten die Teilnehmenden im Rahmen der Polnisch-Deutschen Kirchenleitungsbegegnung mit den Diözesen Wroclawska und Pomorsko-Wielkopolska Gespräche mit der Ministerin für Wissenschaft, Kultur, Bundes- sowie Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Bettina Martin, und dem parlamentarischen Staatssekretär für Vorpommern und das östliche Mecklenburg Heiko Miraß. 

Veranstaltungen
Orte
  • Orte
  • Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Flensburg-St. Johannis
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Gertrud zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Michael in Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Nikolai-Kirchengemeinde Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Petrigemeinde in Flensburg
  • Hamburg
    • Hauptkirche St. Jacobi
    • Hauptkirche St. Katharinen
    • Hauptkirche St. Michaelis
    • Hauptkirche St. Nikolai
    • Hauptkirche St. Petri
  • Greifswald
    • Ev. Bugenhagengemeinde Greifswald Wieck-Eldena
    • Ev. Christus-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Johannes-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Jacobi Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Marien Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Nikolai Greifswald
  • Kiel
  • Lübeck
    • Dom zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Aegidien zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Jakobi Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien in Lübeck
    • St. Petri zu Lübeck
  • Rostock
    • Ev.-Luth. Innenstadtgemeinde Rostock
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock Heiligen Geist
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Evershagen
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Lütten Klein
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Johannis Rostock
    • Ev.-Luth. Luther-St.-Andreas-Gemeinde Rostock
    • Kirche Warnemünde
  • Schleswig
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Schleswig
  • Schwerin
    • Ev.-Luth. Domgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Berno Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Nikolai Schwerin
    • Ev.-Luth. Petrusgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Schloßkirchengemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Versöhnungskirchengemeinde Schwerin-Lankow

Personen und Institutionen finden

EKD Info-Service

0800 5040 602

Montag bis Freitag von 9-18 Uhr kostenlos erreichbar - außer an bundesweiten Feiertagen

Sexualisierte Gewalt

0800 0220099

Unabhängige Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Nordkirche.
Montags 9-11 Uhr und mittwochs 15-17 Uhr. Mehr unter kirche-gegen-sexualisierte-gewalt.de

Telefonseelsorge

0800 1110 111

0800 1110 222

Kostenfrei, bundesweit, täglich, rund um die Uhr. Online telefonseelsorge.de

Zum Anfang der Seite