Kirche, Bürger und Stadt ermöglichen Erholungsurlaub

Marlower Feriencamp für ukrainische Kinder: Eine Pause vom Krieg

Die Gruppe unternimmt einen Ausflug in den Vogelpark. Es soll eine möglichst unbeschwerte Zeit werden.
Die Gruppe unternimmt einen Ausflug in den Vogelpark. Es soll eine möglichst unbeschwerte Zeit werden. © Kirchengemeinde Marlow

05. September 2025 von Julia Krause, Jana Bergmann

Was wäre, wenn drei Wochen lang alles normal wäre? Vielleicht sogar besser als normal: Mit Ausflügen zum Ponyhof, Baden in der Ostsee und abends Disko? Die Kirchengemeinde und die Stadt Marlow im Landkreis Vorpommern-Rügen haben 22 Jugendliche aus der Ukraine in ein Feriencamp eingeladen. Es war ihre klitzekleine Pause vom Krieg.

Es sollte so schön wie möglich werden. Denn die 10- bis 17-Jährigen aus Yampil an der Grenze zur Republik Moldau leben seit mehr als drei Jahren im Ausnahmezustand. Seit Russland die Ukraine am 24. Februar 2022 angegriffen hat, sind ihre männlichen Verwandten, allen voran die Väter, nach und nach zum Militärdienst eingezogen worden oder haben sich freiwillig gemeldet. Nicht mehr alle von ihnen leben noch. Unbeschwerte Ferien sind kaum machbar, zumal die Bombenabwürfe und Gefechte in der Heimat weitergehen. 

Marlower ziehen an einem Strang

Die Marlower haben Erfahrung darin, Feriencamps auszurichten: Jahrzehntelang kamen über den Tschernobyl-Verein jährlich Kinder aus dem radioaktiv belastetem Gebiet im Sommer zum Erholungsurlaub an die Ostsee. Warum diese Erfahrungen also nicht nutzen, um ukrainischen Kindern eine Pause vom Krieg zu verschaffen?, dachte sich Diakon Peter Michalik.

Zusammen mit der Ukrainerin Olesia Kröger, die seit acht Jahren in Marlow lebt, überlegte er, wie sich diese Idee in die Tat umsetzen ließe. Eine Unterkunft war schnell ausgemacht: Das Pfarrhaus mit seiner Jugend-Gäste-Etage bietet genug Platz, eine Gruppenküche gibt es dort ebenfalls. "Wir hatten eine gute Grundstruktur. Das einzige, was wir nicht hatten, war natürlich Geld", sagt Michalik. Doch zusammen mit der Stadt und prominenter Unterstützung durch die Schauspielerin Annett Rennberg organisierten die Marlower eine Spendengala, die den Grundstock bildete, der später durch weitere Stiftungs- und Fördergelder ergänzt wurde. 

ukrainische Jugendliche auf Kanufahrt
Die Kanufahrt ist eins der vielen Freizeit-Highlights während des dreiwöchigen Jugendcamps in Marlow. © Jana Bergmann, epd

Alle Kinder haben einen Soldaten-Vater

Den Kontakt in die Ukraine stellte Olesia Kröger her. Sie sprach Menschen in ihrem früheren Heimatort an, darunter auch den Arzt Koliushko Gennadii Anattoliievych. Er ist Leiter der Abteilung für soziale und medizinische Versorgung des Stadtrats Yampil und bot das Feriencamp gezielt Familien an, die Militärangehörige haben und besonders unter dem Krieg zu leiden haben, erzählt Michalik. 

Lesen Sie hier mehr über die Themen Frieden und Friedensbildung in der Nordkirche

Rund ein Jahr später war es so weit: Die 22 Jugendlichen und ihre vier Betreuer:innen kamen nach fast eineinhalbtägiger Fahrt mit Flixbussen in Deutschland an. Über Berlin ging es dann in einem Reisebus weiter nach Marlow. Und dort durfte dann endlich entspannt, getobt und getanzt werden.

Ein kleiner Lichtblick inmitten der Trauer 

"Wir haben jeden Tag ein Freizeitangebot gehabt", sagt Diakon Peter Michalik. Ob Ponyhof, Vogelpark, Feuerwehrwache oder Ostseestrand – jeder Tag war ein kleines Abenteuer. Besonders schön sei gewesen, dass es einen regen Austausch zwischen den Gästen, der ukrainischen Community im Ort und den alteingesessenen Marlowern gegeben habe. "Im Grunde war jeden Abend Tag der Begegnung im Pfarrgarten. Und das ganz unkompliziert", sagt Peter Michalik. 

Jugendliche vor zwei Feuerwehrwagen
Die Feuerwehr in Marlow lud die Jugendlichen ein, Wagen und Wache zu erkunden. © Kirchengemeinde Marlow

Zwischen all der Unbeschwertheit habe es aber auch traurige Momente gegeben, denn der Krieg habe in dieser Zeit natürlich nichts von seinem Schrecken verloren, sondern ging in aller Härte weiter. Welche Belastung dies für die Kinder bedeutet, ließe sich nur erahnen. „Wir haben nicht viel gefragt, aber von Zeit zu Zeit haben die Kinder etwas erzählt von ihren Vätern. Es war ein Junge dabei, der während des Feriencamps Geburtstag hatte. Sein Vater ist vor sechs Monaten gefallen. Da muss man sensibel mit umgehen“, sagt Olesia Kröger. 

Gäste geben emotionales Feedback

Im Großen und Ganzen aber sei es geglückt, den Jugendlichen eine gute Zeit in einer fröhlichen, lebenslustigen Atmosphäre zu ermöglichen, meint Michalik mit einer Mischung aus Stolz und Erleichterung. Das Feedback sei überwältigend und sehr emotional gewesen. "Ich sehe viele Kinder zum ersten Mal lachen, angesichts der Umstände in unserem Heimatland. Vielen Dank, ehrlich, ich bin ein bisschen überrascht, wie herzlich und warm fremde Menschen sein können", sagte Koliushko Gennadii Anattoliievyc, der die Gruppe als Betreuer begleitete. 

Besonders gut haben den meisten die Strandtage gefallen, ist sich Michalik sicher. So auch dem 13-jährigen Dima, für den es die erste Auslandreise war. "Ich habe so etwas noch nie erlebt. Es war echt cool hier, mir hat einfach alles gefallen, aber am liebsten bin ich mit dem Boot auf dem Meer gefahren", sagt er. 

Ukrainische Jugendliche auf dem Ponyhof
Ein Erlebnis, das die Jugendlichen nicht alle Tage haben: Wer mag, kann reiten lernen. © Kirchengemeinde Marlow

Der Krieg hat Gesichter bekommen

Inzwischen sind er und die 21 weiteren Jungen und Mädchen nach einem tränenreichen Abschied mit ihren vier Betreuer:innen wieder zurück in der Ukraine. Was bleibe, sei die Gewissheit, echte Beziehungen geknüpft zu haben, sagt Diakon Michalik. Noch bis vor Kurzem habe er das Gefühl gehabt, dass es "eine Ukraine-Müdigkeit in der Gesellschaft" gebe. In Marlow sei davon jedoch nichts mehr zu spüren, sagt er. "Der Krieg hat für uns jetzt 26 Gesichter, das hat noch mal eine ganz andere Dynamik." 

Hintergrund

In Marlow leben seit Kriegsbeginn mehrere geflüchtete ukrainische Frauen mit ihren Kindern, die zum Beispiel über die Kirchengemeinde neue Freunde gefunden haben. Aus dieser Community heraus entstand der Wunsch, weiteren ukrainischen Familien zu helfen.

Diakon Peter Michalik und Olesia Kröger haben zusammen mit der Stadtverwaltung schnell weitere Unterstützer:innen gewonnen. Dazu zählen etwa das DRK, die örtliche Feuerwehr sowie die Sparkasse.

Den Löwenanteil der Finanzierung des Feriencamps stemmten die Stiftungen "Ein Herz für Kinder" und die "Michael-Stich-Stiftung" mit jeweils 10.000 und 15.000 Euro. Die Nordkirche steuerte 5000 Euro bei. Hinzu kamen kleinere Firmen- und Privatspenden. 

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