Besondere Orte in der Nordkirche

Flusi: Eine schwimmende Kirche für Land- und Seeleute

Eine Kirche ohne feste Gemeinde: Die Flussschifferkirche ist ein ganz besonderer Ort. Wer sie besuchen möchte, hat dazu zum Beispiel bei der "Nacht der Kirchen" die Gelegenheit. Zweimal im Monat werden hier auch Gottesdienste gefeiert.
Eine Kirche ohne feste Gemeinde: Die Flussschifferkirche ist ein ganz besonderer Ort. Wer sie besuchen möchte, hat dazu zum Beispiel bei der "Nacht der Kirchen" die Gelegenheit. Zweimal im Monat werden hier auch Gottesdienste gefeiert. © Julia Krause, Nordkirche

19. September 2025 von Julia Krause

Auf der Hamburger Elbe liegt Deutschlands einzige schwimmende Kirche: Ein umgerüsteter Frachtkahn. Auf ihm werden Gottesdienste und Segensfeste gefeiert, genauso wie Lesungen und Konzerte. Ins Leben gerufen wurde die Idee der Flussschifferkirche aber schon vor 155 Jahren, um für einen Berufsstand zu sorgen, der bis heute keine starke Lobby hat.

Wer durch die Hamburger Speicherstadt flaniert, sieht vor den alten Kontorhallen und der Silhouette der Elbphilharmonie Stege, an denen Barkassen liegen. An einem ist die Flussschifferkirche festgemacht, zu erkennen an ihrem Glockenturm, auf dem ein Kreuz in den Himmel ragt. Er wurde so gebaut, dass er umklappbar ist, damit die Barkasse unter den Brücken Hamburgs hindurchpasst, wenn sie zu besonderen Anlässen, wie etwa dem Kirchentag, bewegt wird.

Erinnerung an einen vergessenen Berufsstand 

Heute wird das Schiff, das keinen eigenen Antrieb hat, nur noch in die Werft geschleppt. Alle zehn Jahre muss überprüft werden, ob es noch so gut in Schuss ist, dass es weiterhin schwimmende Kirche, Kulturhaus und Repräsentant einer der ältesten Hamburger Berufsschichten sein darf: den Binnenschiffern.

Gemeint sind damit nicht nur Besatzungen von Ausflugsbooten, sondern vor allem auch solche, die Waren transportieren. Rund 10.000 Binnenschiffer-Anläufe verzeichnet Hamburg laut Flussschiffer-Diakon Mark Möller jedes Jahr. Wahrgenommen würde dies jedoch kaum. „Die meisten sehen nur die großen Pötte“, sagt Möller.

Die ersten Pastoren waren auch Sozialarbeiter 

Schon vor Jahrhunderten trugen die Binnenschiffer zum Wohlstand Hamburgs bei, blieben dabei selbst aber meist arm. Die Schiffe waren größtenteils familienbetrieben – es war selbstverständlich, dass die Kinder mit anpackten, erzählt Gisela Bruns, die als Ehrenamtliche Führungen durch die Flussschifferkirche anbietet und ihre facettenreiche Geschichte recherchiert hat. Die meisten hatten kaum Kontakt zur Landbevölkerung, arbeiteten auch sonn- und feiertags in sehr beengten Verhältnissen.

Diakon Mark Möller und Ehrenamtliche Gislea Bruns vor dem Eingang zur Flussschifferkirche – Deutschlands einzige schwimmende Kirche.
Diakon Mark Möller und Ehrenamtliche Gislea Bruns vor dem Eingang zur Flussschifferkirche – Deutschlands einzige schwimmende Kirche. © Julia Krause, Nordkirche

Um die Lebensbedingungen dieser Familien zu verbessern und ihre kirchliche Anbindung zu stärken, schickte der Theologe Johann Hinrich Wichern 1870 den ersten Missionar zu den Hamburger Flussschiffern. 1904 übernahm die Kirchengemeinde auf der Veddel die seelsorgerische Verantwortung für die Binnenschiffer. In den folgenden Jahren wurde das erste Schifferheim gegründet, in dem die Kinder der Seeleute wohnen konnten, während sie an Land die Schule besuchten. Dort wurden auch feste Postfächer installiert, sodass die Besatzungen ihre Briefe nicht mehr zu verschiedenen Wirtshäusern schicken lassen mussten. „Die Arbeit des Pastors war eine praktisch orientierte“, sagt Bruns.

Von der Baracke zur schwimmenden Kirche

Dieser sehr zupackende, diakonische Ansatz wurde auch in den Nachkriegsjahren fortgeführt: Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten auf den Barkassen im Hamburger Hafen viele Flüchtlingsfamilien. Der damalige Schiffsmissionar Giering kümmerte sich etwa um Lebensmittelspenden, half bei der Suche nach Verwandten und organisierte ein erstes Kinderweihnachtsfest für die Geflüchteten.

Regelmäßige Veranstaltungen auf der "Flusi"

Gottesdienste: jeden zweiten Sonntag im Monat um 15 Uhr (hochdeutsch), jeden vierten Sonntag im Monat um 15 Uhr (plattdeutsch). Im Anschluss: Bordtreffen (offenes Kirchcafé). 

Gebetskreis: Jeden Freitag um 14 Uhr.

Zentraler Ausgangspunkt für die kirchliche Arbeit war damals eine Baracke am Billehafen. Nachdem sie wegen extremer Baufälligkeit aufgegeben werden musste, entstand die Idee, eine schwimmende Kirche zu bauen. 1952 war es dann so weit: Ein Frachtkahn wird dank vieler Spendengelder nach einem aufwendigen Innenausbau zur Flussschifferkirche geweiht und erhält seinen ersten Liegeplatz am Marktkanal.

Aufsuchende Kirche: Die "Flusi" ist unterwegs 

Seitdem hat die „Flusi“, wie sie heute liebevoll genannt wird, mehrfach ihren Anleger gewechselt, bis sie ihren jetzigen Platz an der Hohen Brücke 2 fand. Ihrer Arbeit ist sie jedoch treu geblieben: So werden auf dem Schiff bis heute Gottesdienste und Segensfeiern abgehalten. Zudem fährt die dazugehörige, kleinere Partnerbarkasse jeden Donnerstag von April bis Nikolaus zu den Binnenschiffern im Hamburger Hafen. Ein wechselndes Team aus Ehrenamtlichen, darunter immer eine Schiffsführer:in, eine Festmacher:in und eine Seelsorger:in, steuert nach dem Zufallsprinzip die Schiffe an.

Barkasse auf der Elbe
Mit dieser Barkasse fährt ein Team aus Ehrenamtlichen wöchentlich zu den Binnenschiffern, um einen Schnack zu halten. Ihr Ziel ist es, dass sie sich gesehen und geschätzt fühlen. © Julia Krause, Nordkirche

„Wir fahren längsseits, hupen und wenn die Leute Lust und Zeit haben, kommen sie an die Reling und halten einen Schnack“, sagt Diakon Mark Möller. Das Ziel der aufsuchenden Arbeit: „Die Leute sollen sich wahrgenommen fühlen“, sagt Gisela Bruns. Denn bis heute hätten sie innerhalb der Seefahrtbranche keine eigene Lobby, ergänzt Möller.

Viele Besonderheiten an Bord

Wer heute zur Flusi kommt, um eine Führung oder einen Gottesdienst zu besuchen, kann den Flussschiffern eine Postkarte schreiben und somit seine oder ihre Wertschätzung ausdrücken. Ein Briefkasten, Stifte und Karten befinden sich direkt im Kirchenschiff.

Die Flussschifferkirche von innen
Die Flussschifferkirche von innen: Wer hier ist, fühlt ein leichtes Schwanken. Die Kirche schwimmt auf der Elbe. © Julia Krause, Nordkirche

Und wer schon einmal da ist, kann weitere Besonderheiten entdecken: So sind die Fenster der „Flusi“ teilweise mit Symbolen und Abbildungen alter Seefahrerberufe wie etwa dem Schauermann, Ewerführer oder Netzflicker verziert. Daneben finden sich auch die Kirchen vieler Hansestädte in den Fenstern. Auch die kleine Orgel, das Altarbild und die vielen schaukelnden Holzschiffmodelle unter der Decke sind sehenswert. 

Ihre Geschichte zeigt, was Ehrenamt alles kann 

Dass die Kirche heute noch erhalten ist und besucht werden kann, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit: Sie hat in ihrer Geschichte bereits mehrere Krisen durchlebt und überstanden. Nach der Jahrtausendwende stand sie kurz vor der Entweihung und Verschrottung. „2007 ist mit der Auflösung der Binnenschiffergemeinde alles weggebrochen: Es gab keine hauptamtliche Personalie mehr, keine Kirchenmusik, keine Predigenden, keinen Kirchengemeinderat mehr. Es gab null Struktur und null Euro“, erklärt Mark Möller.

Nur durch die Gründung eines Vereins, der fortan die Trägerschaft übernimmt, kann die Kirche gerettet werden. „Bis 2020 ist das Ganze hier rein ehrenamtlich betrieben worden. Das zeigt erstmal die Power, die Ehrenamt und Engagement haben kann“, so Möller. Seit 2020 ist er hauptamtlicher Diakon der Flussschifferkirche, eine Projektstelle, die vom Kirchenkreis Hamburg-Ost und dem Fachbereich Kirche und Tourismus der Nordkirche finanziert wird.

Rettung vor der Verschrottung 

Doch mit der Corona-Krise musste sich die Kirche wieder ein Stück weit neu erfinden: Viele Gäste und Ehrenamtliche sind in dieser Zeit weggeblieben. Inzwischen ist es jedoch gelungen, sie wieder aus dem „Dornröschenschlaf“, wie Diakon Möller es nennt, zu erwecken: Durch gezielte Vernetzung mit der Tourismus- und Kulturwirtschaft der Stadt taucht die "Flusi" jetzt auch in den Stadtführern Hamburgs auf. Ebenso hat der Verein einen neuen Audio-Guide realisiert, um Gästen ihre Geschichte näherzubringen. Parallel arbeitet das Team an längeren Öffnungszeiten.

Sakristei der Flussschifferkirche
Die Gottesdienste und der Bibelkreis finden regelmäßig statt. Zusätzlich kann man sich auf der "Flusi" taufen lassen, heiraten oder von einem geliebten Menschen Abschied nehmen. Daneben wird sie regelmäßig als Ort für Lesungen, Konzerte und andere Kulturveranstaltungen gebucht. © Julia Krause, Nordkirche

Außerdem möchte es die Kirche als Ort für verschiedenen Segensfeiern wie Taufen, Trauerfeiern oder Hochzeiten bekannter machen. „Wir sind im Vorstand überzeugt davon, dass da noch Musik drin ist. Da geht noch was“, zeigt sich Diakon Möller zuversichtlich.

Eine einladende Kirche ohne feste Gemeinde

Inzwischen zählt der Kreis aktiver Ehrenamtliche wieder 52 Personen. Wer mitmachen möchte, ist herzlich willkommen. Eine Kirchenmitgliedschaft ist dabei keine zwingende Voraussetzung. Ebenso offen ist sie für Gäste, die einfach mal reinschnuppern wollen.

Was viele erstaunt: Die Kirche hat keine feste Gemeinde, keine feste Pastorin oder festen Pastor. Der Verein sieht dies aber auch als Chance. „Wir wollen hier niemanden missionieren“, sagt Möller. Was zähle, sei eine einladende Kirche, „die etwas atmet von Evangelium, ohne das Evangelium überall fest zu thematisieren.“

Ein Ort, der inspiriert

Was für ihn das Schönste an dieser Kirche sei? „Sie inspiriert. Das finde ich immer wieder bereichernd.“ Die Leute kämen hierher und sprudelten beim Anblick der Kirche vor Ideen, was man hier alles machen könne. „Das ist doch toll!“, sagt er.

Für Gisela Bruns ist das Ehrenamt eine Möglichkeit, ihr Geschichtsinteresse und -wissen auch im Ruhestand einbringen zu können. Vor allem aber lasse es sie immer wieder in eine andere, faszinierende Welt eintauchen – die der Flussschiffer, einem der ältesten Berufsstände Hamburgs.

Die "Nacht der Kirchen" 

Am Sonnabend, 20. September, ist die "Flusi" bei der "Nacht der Kirchen" in Hamburg geöffnet:

Hier findet ein Gottsdeenst op Platt (19 Uhr) statt. Im Anschluss gibt es Musik mit Annie Heger zum Zuhören und Mitmachen. Um 19.45 Uhr hat man die Möglichkeit an einem "Plattdüütsch för Anfängers"-Kurs teilzunehmen. Um 20 Uhr spielen "Jan un Haye" Musik aus dem Norden. Und um 20.30 Uhr gibt es den nächsten Plattdeutsch-Kurs für Anfänger.

Ein weiterer Höhepunkt: Frollein Dawerts Ankerschnack (21 Uhr): Die Plattdeutsche Lesebühne lädt zur exklusiven Preview auf der Flussschifferkirche ein. Die Gäste erwartet eine Mischung aus Prosa bis Lyrik mit bekannten Gesichtern aus Nord- und Plattdüütschland. Durch den Abend führt Poetry Slammerin und NDR 1 Welle Nord-Moderatorin Carina Dawert.

Die Nacht beschließen kann man mit einer Abendandacht um 22.45 Uhr mit Segen für den Weg. 

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