Gesellschaft

Kirchentag von Stuttgart startet fröhlich und kritisch

"damit wir klug werden" – diese beiden Helfer zeigen das Motto des Kirchentags
"damit wir klug werden" – diese beiden Helfer zeigen das Motto des Kirchentags© epd

04. Juni 2015 von Timo Teggatz

Jetzt nimmt der Kirchentag Fahrt auf: Nach dem stimmungsvollen Beginn geht es um die Probleme dieser Zeit. Kritik wird laut: an grenzenlosem Wachstum und dem Prinzip „Märkte vor Menschen“. Zwei Prominente geben dabei Linien vor.

Schon nach wenigen Minuten erntet Margot Käßmann Applaus: Die Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 kritisiert das "patriarchale Gehabe" von Porschegründer Ferdinand Piëch. Kurz darauf brandet gar Jubel auf in der mit fast 10.000 Besuchern gefüllten Hanns-Martin-Schleyer-Halle. "Ich verstehe nicht, warum mit meinem Steuergeld gierige Banken gerettet werden müssen", ruft Käßmann – und gibt so eine thematische Leitlinie vor für den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart.

Gelassen und heiter tritt sie auf, aber auch zupackend. Die Verse aus dem Lukas-Evangelium in ihrer einstündigen Bibelarbeit erzählen von einem Verwalter, der das Vermögen eines reichen Mannes hütet und dessen Untergebenen eigenmächtig Schulden erlässt. Es folgt die Auslegung für die heutige Zeit: Auf diese Weise, durch alternatives Handeln des Einzelnen, könne die Logik eines auf Macht und Gewinn ausgerichteten Systems durchbrochen werden, sagt Käßmann: "Die Ökonomie muss allen dienen. Auch der Reiche ist nicht mehr wert." Und mit Verweis auf den Schuldenstreit mit Griechenland fragt sie: "Können nicht auch Staaten frei werden von ihren Schulden?" Erneut langer, warmer Applaus. Käßmann berührt, bewegt die Menschen.

Mit hoher intellektueller Intensität diskutieren im Anschluss vor ähnlich vielen Zuhörern Bundespräsident Joachim Gauck und der Erfurter Soziologe Hartmut Rosa. Die Moderne setze weiter auf immer mehr Wachstum, sagt Rosa. Dieses sei jedoch vom Mittel zu mehr Wohlstand zum Selbstzweck geworden. Logische Folgen laut Rosa: Systemkrisen und unhaltbare Zustände wie in Griechenland. "Die Idee, dass wir immer schneller laufen müssen, um der nächsten Krise zu entkommen, ist ein durch und durch ungesunder Zustand", resümiert der Soziologe – und hat das Publikum ebenfalls schnell hinter sich.

Hitzige Diskussion bei sommerlichen Temperaturen

Gauck erwidert zunächst, er fühle sich Rosa brüderlich verbunden. Er selbst habe einst in Hunderten Predigten die Herrschaft des Materiellen in der Welt beklagt. Es sei nicht der Sinn des Lebens, sich zu verbrauchen und zu ruinieren, ergänzt das Staatsoberhaupt – kritisiert Rosa jedoch für dessen Wortwahl und negative Haltung. Es sei nun mal ein Lebensprinzip der Menschen, sich miteinander vergleichen zu wollen: "Daraus muss man aber nicht gleich Kampfbegriffe und Feindschaft ableiten."

Während sich drinnen eine hitzige Diskussion entzündet, bricht sich vor der Halle sich ein weiteres prägendes Element dieses Kirchentags Bahn: der plötzliche Beginn des Sommers in Deutschland. Immer mehr Gäste wickeln sich den grellroten Kirchentagsschal um den Kopf, tragen ihn als Sonnenschutz, Schweiß- oder Stirnband. Programmhefte dienen als Fächer, in der Luft mischen sich Sonnenöl-Aromen. Die Veranstalter haben bereits reagiert: Vielerorts finden sich Hinweise auf kostenlose Trinkwasserstationen, für die ehrenamtlichen Helfer wurden Hunderttausende Flaschen Wasser geordert.

Ökumene – einmal kulinarisch

Auch das große Straßenfest zur Eröffnung des fünftägigen Christentreffens am Mittwochabend profitierte von einer lauen Sommernacht. Dort schlug nach den drei Freiluftgottesdiensten mit 80.000 Besuchern die Stunde der Regionen der gastgebenden Landeskirche Württembergs. Zahlreiche Gemeinden präsentierten Musik, Tanz, Theater - und schwäbische Kulinarik. Und selbst die Ökumene kam nicht zu kurz: Auf dem Schlossplatz standen "Lutherische Handwürste mit katholischen Seelen" zum Verkauf, Bratwürste in traditionellen Kümmelsemmeln.

Im Meer der 250.000 friedlich und fröhlich Flanierenden ging eine markante Protestskulptur geradezu unter. Kritiker staatlicher Zuschüsse für das Protestantentreffen schrieben dort auf einer Pappmaché-Steintafel: "11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!" Daneben drohte ein überlebensgroßer Mose mit erhobenem Zeigefinger.

Lichtermeer in der ersten Nacht

Gegen 22 Uhr füllte sich der Schlossplatz noch einmal bis an die Ränder. Dutzende Bläser und Sänger boten ein Potpourri aus Kirchenliedern und schwäbischem Volksliedgut. Mit zunehmender Dunkelheit dann der stimmungsvolle Höhepunkt: Zehntausende Menschen schwenkten Kerzen durch die Luft, gaben ihre Flamme weiter und verwandelten den Schlossplatz in ein gelblich leuchtendes Lichtermeer.

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