Neue Chefredakteurin will Themenpalette erweitern
04. Januar 2021
Seit dem Jahreswechsel wird das Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt von der ehemaligen "Spiegel"-Redakteurin Annette Bruhns geführt. Neben Obdachlosigkeit werde sich das Magazin auch Umwelt- und Wirtschaftsthemen widmen, sagte sie. Zudem beschäftige sie sich auch mit digitalen Geschäftsmodellen.
Das Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt soll auch künftig die "soziale Stimme der Stadt" sein. Doch für die neue Chefredakteurin Annette Bruhns (54) umfasst das Thema weit mehr als nur Obdachlosigkeit. Wenn etwa Freibäder geschlossen werden, bedeute das gerade für arme Familien eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität.
Breite Themenvielfalt, hochkarätige Besetzung
Auch die Verödung der Innenstädte durch die Online-Konkurrenz oder die Verschlickung der kleinen Häfen durch die Elbvertiefung sowie die Wirkungslosigkeit vieler teurer Medikamente sind für Bruhns Themen, die Aufmerksamkeit verdient haben.
Dank ihrer guten Verbindungen will sie zudem hochkarätige Journalisten gewinnen. Bruhns: "Und ein bisschen mehr Humor würden dem Blatt auch nicht schaden."
Nicht jede Ausgabe müsse einen Obdachlosen auf dem Titel zeigen, sagt sie. Dabei werde das Thema an Bedeutung zunehmen. Die Corona-Pandemie werde für viele Menschen mit einem wirtschaftlichen Ruin einhergehen. "Da fallen etliche durch den Rost."
Unterkünfte schlechter als im Gefängnis
Deutliche Kritik übt sie am Winternotprogramm der Stadt: Viele obdachlose Menschen würden die Sammelunterkünfte meiden, um sich nicht mit dem Corona-Virus anzustecken. Auch Alkohol und Gewalt würden viele abschrecken. "Da geht es oft sehr rau zu." Der Staat bürde die nötige Einzelunterbringung der Zivilgesellschaft auf, die diese mühsam über Spenden für Hotelbetten einigen wenigen ermöglicht.
Besonders schwierig ist es nach Worten Bruhns' derzeit für Menschen aus Polen, Rumänien oder Bulgarien, die mittlerweile einen Großteil der obdachlosen Menschen bilden. "Erst sorgen sie in deutschen Schlachthöfen für billiges Grillfleisch, und im Anschluss leben sie dann teilweise auf der Straße." Die Unterkünfte der Schlachtbetriebe seien zum Teil schlechter als im Gefängnis, so ihre Recherche. Ohne feste Anstellung hätten viele von ihnen nicht einmal Anspruch auf Hartz IV. "Wo bleibt da unsere Verantwortung?"
Digitalisierung ist riesige Herausforderung
Zu den schwierigsten Aufgaben im neuen Job gehört die Gestaltung der Digitalisierung, um jüngere Leserinnen und Leser zu gewinnen. Charakteristisch für Hinz&Kunzt ist der persönliche Verkauf durch Obdach- oder Wohnungslose. Eine Online-Ausgabe des Straßenmagazins mache da wenig Sinn, so Bruhns. Doch jüngere Kunden hätten zudem kaum noch Bargeld dabei und würden alles mit Karte bezahlen. Die Corona-Pandemie habe diesen Trend noch verstärkt. Denkbar wäre eine Bezahlung über einen QR-Code bei den Verkäufern. Doch dazu müssten noch viele Fragen geklärt werden, darunter auch steuerrechtliche.
Annette Bruhns löst Birgit Müller (64) ab, die nach 25 Jahren als Chefredakteurin in den Ruhestand tritt. Sie hatte Bruhns in einer Übergangsphase eingearbeitet.